Alex Cross 07 - Stunde der Rache
vertiefte das Thema nicht. Vielleicht ein andermal.
»Macy, ich mache mich auf den Heimweg«, erklärte ich schließlich. »Ich fand es schön, dass wir uns wiedergesehen haben. Sogar sehr schön.«
»Damit habe ich gerechnet! Ich habe es gewusst!«, schrie Macy. »Geh nur, Alex. Hau ab! Verdammt, ich will dich nie wiedersehen.«
Ehe die Wut in ihre Augen gestiegen war, hatte ich darin etwas Schönes, ja Unwiderstehliches gesehen. Jetzt war es verschwunden. Vielleicht konnte sie es eines Tages wieder zurückgewinnen, vielleicht nicht. Dann fing Macy an zu weinen. Ich war klug genug, nicht mal zu versuchen, sie zu trösten. Ich wollte nicht herablassend sein.
Ich verließ die Wohnung, samt dem schönen Klavier und
dem Zitat von Rudy Crew. Diese Frau war nichts für mich.
Jedenfalls nicht jetzt.
Trauriger Abend.
Eine gute Frau ist auch schwer zu finden, wollte ich zu Macy
sagen.
O Gott, ich hasste Verabredungen.
40
D er Abend mit Macy Francis lag mir die nächsten Tage noch schwer im Magen. Es war, als spiele ein trauriges Lied in meinem Kopf. Ich hatte nicht erwartet, dass er so enden würde, und mir hatte nicht gefallen, was ich gesehen und empfunden hatte. Der Ausdruck in Macys Augen ließ mich nicht los: Eine schreckliche Mischung aus Schmerz, Verletzbarkeit und Wut, die schwer zu besänftigen war.
Am Mittwochabend griff ich mir gleich nach Dienstschluss Sampson. Wir trafen uns bei Mark auf einen Schluck. Die Bar war nur wenige Blocks von der Fifth entfernt. Eine typische Stammkneipe, breite Fichtenbretter auf dem Boden, eine lange, abgenutzte Mahagonitheke. Langsam drehte sich ein Ventilator an der Decke.
»Verdammt, Süßer«, sagte Sampson, als er hereinkam und mich allein sitzen sah. Ich nippte an einem Foggy Bottom und betrachtete die alte Pabst-Uhr an der Wand. »Du gestattest mir doch, dass ich sage, du siehst total Scheiße aus, Mann. Schläfst du ordentlich? Du schläfst doch immer noch allein , oder?« »Schön, dich zu sehen«, meinte ich. »Setz dich und trink ein Bier.«
Plötzlich schlang Sampson seine Gorillaarme um mich und drückte mich, als sei ich sein kleines Kind. »Was, zum Teufel, ist mit dir los?«, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. »Das weiß ich auch nicht genau. Die Mörderjagd an der Westküste war wirklich schlimm. Ich meine, sie hat die Hölle einfrieren lassen. Außerdem nichts Neues über den Mord an Betsey Cavalierre. Neulich hatte ich ein Rendezvous, das so übel verlief, dass ich am liebsten für den Rest meines Lebens nie wieder eine Verabredung treffen möchte.«
Sampson nickte. »Ich kenne den Text dieses traurigen Lieds.« Er bestellte ein Bier beim Barkeeper, einem Exbullen, den wir beide kannten. Tommy DeFeo.
»Der Fall, in dem ich in Kalifornien ermittelt habe, endete ausgesprochen schlecht. Die Mörder sind untergetaucht, haben sich einfach in Luft aufgelöst. So! Und wie läuft's bei dir? Du siehst gut aus für deine Verhältnisse.«
Er hob den Zeigefinger und richtete ihn direkt auf meine Stirn zwischen die Augen. »Ich sehe immer gut aus. Das ist mir angeboren. Versuch nicht, das Thema zu wechseln. Wir haben uns aus einem ganz bestimmten Grund getroffen.«
»Ach, zum Teufel, du weißt, dass ich nicht gern über meine Sorgen rede, John. Erzähle mir lieber von deinen.« Ich lachte, John nicht.
Sampson schaute mich nur an, sagte nichts und wartete ab.
»Wahrscheinlich würdest du einen recht ordentlichen Seelenklempner abgeben«, meinte ich.
»Wenn man vom Teufel spricht – hast du in letzter Zeit die gute Dr. Finally aufgesucht?« Adele Finally ist meine Psychiaterin. Sampson war auch ein paarmal bei ihr. Sie hilft, da sind wir beide uns einig. Wir sind Fans von Adele.
»Nein, sie ist stinksauer auf mich. Meint, ich gäbe mir nicht genügend Mühe, ich würde meine Schmerzen nicht richtig akzeptieren. Na ja, so was Ähnliches hat sie gesagt.«
Sampson nickte und lächelte. »Und warum ist das so?«
Ich verzog das Gesicht. »Ich habe nicht gesagt, dass ich mit Adele einer Meinung bin.«
Ich trank einen Schluck von meinem Foggy Bottom. Es war nicht übel, und ich pflege meiner örtlichen Brauerei treu zu bleiben.
»Wenn ich versuche , die gottverdammten Schmerzen zu akzeptieren, stehe ich immer wieder vor dem Konflikt zwischen der Arbeit und dem Leben, das ich gern führen würde. Ich habe wieder mal ein Konzert von Damon verpasst, weil ich in Kalifornien war. So was passiert dauernd.«
Sampson schlug mir auf die Schulter. »Das ist nicht das
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