Alex Cross 07 - Stunde der Rache
Wirklich. Nicht viele Menschen verstehen, wie wir dort aufgewachsen sind, Alex. Mich hat man nach dem verdammten Kaufhaus benannt. Kannst du das glauben?«
»Allerdings. Ich bin dort groß geworden, Macy.« Wir stießen an und lachten.
»Ich schätze, ich habe Glück, dass ich nicht Bloomingdale heiße.«
Mehrfach schnitt ich das Thema Abendessen an, aber sie wollte lieber hier sitzen und reden. Ich kannte die Chefköchin, Ris Lacoste, und liebte ihr Essen. Ich hatte mich auf die Krabbenschnitten mit Spezialsalat gefreut. Aber wir tranken noch ein paar Gläser Wein, und Macy war mir bald voraus. »Bist du sicher, dass du nichts essen willst?«, fragte ich sie etwas später.
»Ich dachte, ich hätte dir bereits erklärt, dass ich nichts will«, sagte sie. Dann rang sie sich ein Lächeln ab. »Mir hat gefallen, dass wir nur so rumsaßen und redeten. Dir nicht?«
Ich unterhielt mich gern mit Macy, aber ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und musste mir bald irgendeine feste Nahrung zuführen. Ich hatte Riesenappetit auf dicke köstliche Schwarze-Bohnen-Suppe. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr und sah, dass es bereits halb elf war. Ich fragte mich, wie lang man im 1789 noch etwas Warmes zu essen bekam.
Macy fing an, mir von ihren Ehen zu erzählen. Ihr erster Mann war ein Herumtreiber und Verlierer gewesen. Der zweite, ein jüngerer Mann aus Grenada, sei noch schlimmer gewesen, meinte sie. Sie wurde etwas laut, und die Gäste an der Bar musterten uns.
»Und jetzt stehe ich da, siebenunddreißig Jahre alt, und musste wieder anfangen zu arbeiten, obwohl ich das nicht wollte. Ich unterrichte Vierzehnjährige, Alex. Englisch, Weltliteratur. Gott weiß, die Abschlussklasse ist schon schlimm genug.« Ich war sicher, dass sie noch vor kurzem erklärt hatte, sie unterrichte gern, aber vielleicht hatte ich sie missverstanden, oder sie wurde jetzt zynisch. Ich redete schon eine Zeit lang fast gar nicht mehr, hörte mir nur ihre Geschichten an. Schließlich bemerkte Macy das auch. Sie legte ihre Hand auf meine. Ihre Haut war zartbraun. »Tut mir Leid. Ich habe mich hinreißen lassen, Alex. Ich rede zu viel, richtig? Das hat man mir schon öfter gesagt. Es tut mir wirklich Leid.«
»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Da gibt es viel zu erzählen.«
Sie schaute mich mit ihren wunderschönen braunen Augen an. Es tat mir Leid, dass sie in ihren Ehen verletzt worden war, verletzt von der Liebe. Aber das passiert sogar den besten Menschen zuweilen. Macy litt offenbar immer noch.
»Du siehst großartig aus«, meinte sie. »Und für einen Mann kannst du gut zuhören. Das ist wichtig.«
»Du siehst auch super aus, Macy. Ich mag deine Geschichten.«
Wieder lag ihre Hand auf meiner. Ihre Nägel kratzten leicht über meine Haut. Das war ein angenehmes Gefühl. Man konnte ihr wirklich nicht vorwerfen, dass sie zu subtil vorging. Sie befeuchtete mit der Zunge langsam die Oberlippe. Schließlich vergaß ich, dass ich Hunger hatte. Macy schaute mir stumm in die Augen. Wir waren beide erwachsen, ohne feste Bindung, und ich fühlte mich eindeutig von ihr angezogen.
»Meine Wohnung ist nicht weit weg, Alex«, sagte sie schließlich. »Für gewöhnlich tue ich das nicht. Aber komm mit zu mir. Begleite mich einfach nach Hause.«
Ihre Wohnung lag nur zehn Blocks entfernt. Ich begleitete Macy dorthin. Das Gehen fiel ihr etwas schwer. Sie sprach undeutlich. Ich legte den Arm um sie, um ihr Halt zu geben. Macys Wohnung war im Erdgeschoss eines Hauses in der Nähe der Universität. Sie war mit nur wenigen Möbeln eingerichtet. Die Wände waren blassgrün gestrichen, und an einer Wand stand ein schwarzes Klavier. Ein gerahmter Artikel aus einer Zeitschrift über Rudy Crew fiel mir ins Auge. Die Worte des Pädagogen waren groß gedruckt: »Lehren heißt, Wissen zu verteilen … und wem wir dieses besondere Gut zuteilen, ist eine große Frage in diesem Land.«
Macy und ich umarmten uns. Dann kuschelten wir kurz auf der Couch im Wohnzimmer zusammen. Ich mochte, wie sie mich berührte, wie sie mich küsste. Aber es war nicht richtig. Ich wusste, dass ich eigentlich heute Abend nicht hier sein wollte. Macy war nicht in bester Verfassung.
»Ein guter Mann ist schwer zu finden«, sagte Macy und zog mich näher zu sich. Sie sprach immer noch mit schwerer Zunge. »Du hast ja keine Ahnung, wie schwer. Es ist die Hölle.« Ich hatte durchaus eine Ahnung, wie schwer es war, einen Lebenspartner zu finden, aber ich
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