Alex Cross 07 - Stunde der Rache
herüber.
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W illiam und Michael gefiel es im Süden. Dort war es wild und unkonventionell, genau wie sie waren. Am wichtigsten war, dass sie den Zeitplan genau einhielten.
Sie waren in Savannah, Georgia, angelangt. William fuhr den Van auf der Oglethorpe Street und hielt vor dem berühmten Colonial Park Friedhof. Dann ging es weiter über Abercorn, auf der Perry Street vorbei am Chippewa und Orleans Squares. Belehrend erklärte er Michael: »Savannah ist auf seinen Toten aufgebaut. Ein Großteil dieser Stadt wurde auf Friedhöfen errichtet.« Dann berichtete er, dass Savannah im Bürgerkrieg verschont geblieben und deshalb jetzt eine der am besten erhaltenen Städte im Süden sei.
William gefiel diese wunderschöne Stadt sehr, und er freute sich, dass ihr nächstes Opfer gerade in Savannah sein sollte. Was für ein Vergnügen, sich hier zu stärken und eine Mission zu erfüllen. Er war von den historischen Bauten der Stadt so begeistert, dass er auf die Straßennamen nicht mehr achtete. Prächtige Villen und Kirchen aus dem neunzehnten Jahrhundert, filigraner schmiedeeiserner Schmuck, griechische Motive und überall Blumen. Er bewunderte die berühmten alten Herrschaftshäuser: Green-Meldrim, Hamilton-Turner und Joe Odoms erstes Haus.
»Stark, schön und elegant«, sagte William zu seinem Bruder. »Hier könnte ich leben. Was meinst du, sollten wir uns hier später mal niederlassen? Würde dir das gefallen?«
»Ich habe Hunger und brauche schnellstens was zu essen«,
meinte Michael und lachte. »Lass uns irgendwo halten, wo wir das Leckerste bekommen, was Savannah zu bieten hat.« Schließlich parkte William den Van auf der West Bay Street. Die Brüder stiegen aus und streckten sich.
Zwei junge Mädchen in T-Shirts mit dem Aufdruck des Savannah College of Art and Design und abgeschnittenen Bluejeans schlenderten zum Van. Sie hatten lange, wohlgeformte Beine, waren sonnengebräunt und schienen keinerlei Sorgen zu haben.
»Können wir hier Blut spenden?«, fragte die kleinere der beiden Mädchen mit aufreizendem Lächeln. Sie schien sechzehn oder siebzehn zu sein, hatte ein Lippenpearcing und kirschrot gefärbte Haare.
»Du bist ein echt appetitliches Häppchen«, meinte Michael und schaute ihr tief in die Augen.
»Ich bin 'ne Menge«, meinte die Kleine und grinste ihre Freundin an. »Aber bestimmt kein Häppchen. Richtig, Carla?« Die Freundin nickte und verdrehte die grünen Augen. William musterte die Mädchen eingehend und kam zu dem Schluss, sie könnten in Savannah etwas Besseres finden. Diese beiden Schlampen waren unter seiner und Michaels Niveau. »Im Moment ist der Laden geschlossen, tut mir Leid.« Er war höflich und lächelte liebenswürdig, ja geradezu verführerisch. »Vielleicht etwas später, meine Damen. Warum kommen Sie nicht heute Abend noch mal vorbei? Wie wär's?«
Die Kleine warf den Kopf zurück. »Ihr braucht gar nicht so arrogant zu sein. Wir wollten nur mit euch quatschen.« William fuhr sich langsam mit der Hand durch sein langes blondes Haar. Er lächelte noch immer. »Ja, das weiß ich, das wollte ich doch auch. Wer könnte es mir übel nehmen, mit zwei so entzückenden, hübschen Mädels wie euch reden zu wollen. Wie ich sagte, vielleicht sehen wir uns heute Abend. Selbstverständlich zapfen wir dann euer Blut ab – für die gute Sache.«
William und Michael beschlossen, einen Spaziergang zum Savannah River und zu einem Viertel zu machen, das Riverfront Plaza hieß. Sie schenkten den Frachtschiffen und Schleppern auf dem Wasser kaum Aufmerksamkeit, auch nicht dem herausgeputzten Schraubendampfer Savannah River Queen. Selbst die große Bronzestatue »Waving Girl«, eine junge, traurige Frau, die den Seeleuten zum Abschied winkte, interessierte sie nicht. Sie musterten die Männer und Frauen, die auf der Plaza umhergingen, suchten nach Beute, obgleich sie wussten, dass es gefährlich war, hier im hellen Tageslicht zuzuschlagen. Ein Flohmarkt fand statt. Viele ansässige Künstler hatten eine Menschenmenge um sich geschart – ein paar Soldaten, hauptsächlich Frauen, einige sehr attraktiv.
»Ich will jemanden haben. Vielleicht gleich hier in diesem schönen beschissenen Park«, erklärte William nach einiger Zeit.
»Er wäre nicht übel.« Michael deutete auf einen schlanken jungen Burschen in schwarzem T-Shirt und abgeschnittenen Bluejeans.
»Na ja, vielleicht als Zwischenimbiss. Wie wär's mit dem leckeren Zweijährigen drüben im Sandkasten? Mh. Viel besser als
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