Alex Cross 07 - Stunde der Rache
dieses süßliche Zeug, das ich überall rieche.«
William mochte den Humor seines Bruders. »Das sind Pralinen, die du riechst. Das Barbecue soll hier auch besonders lekker sein. Sehr würzig«, sagte er.
»Ich will kein zähes Schweinefleisch oder Steak.« Michael rümpfte die Nase.
»Na ja, vielleicht könnten wir einen schnellen Imbiss zu uns
nehmen«, meinte William nachgiebig. »Was sticht dir denn in
deine begehrlichen Äuglein? Du kannst alles haben, was du
willst.«
Michael deutete auf seine Wahl.
»Perfekt«, flüsterte William.
46
D as war schlimm. Noch ein grässlicher Vampirmord – in Savannah. Kyle und ich rauschten in einem glänzenden schwarzen Bell-Jet-Hubschrauber dorthin, der Darth Vader stolz gemacht hätte. Kyle wollte den Fall nicht abgeben, und mich ließ er ebenfalls nicht gehen.
Selbst aus der Luft war die Hafenstadt atemberaubend schön. Die Villen, die malerischen Einkaufsstraßen und der Savannah River, der sich durch goldgelbe Marschgebiete zum Atlantik schlängelte. Warum fanden diese grauenvollen Morde an derartig schönen Orten statt? Warum gerade in diesen belebten Städten?
Es musste einen Grund geben, aber bisher war es uns nicht gelungen, ihn zu finden. Die Mörder spielten offenbar ein kompliziertes Fantasyspiel. Aber, zum Teufel, was für ein Spiel war das?
Ein Wagen des FBI wartete und brachte uns zur Kathedrale St. Johannes der Täufer. Die Kirche lag in East Harris, dem historischen Viertel. Überall zwischen den Häusern, die aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg stammten, parkten Polizeifahrzeuge. Und Notarztwagen.
»Die Highways um Savannah sind komplett abgesperrt«, teilte Kyle mir mit, als wir durch den dichten Verkehr in die Nähe der Kirche fuhren. »Seit John Berendts Buch ist hier nichts so Bizarres und Gespenstisches passiert. Oder dem Mord, der ihn zu seinem Roman inspiriert hat. Aber das dürfte noch viel mehr Touristen anlocken, meinst du nicht auch? Vielleicht wird die Vampir-Tour eine Konkurrenz für die Show Mitternacht im Garten von Gut und Böse .«
»Nicht die Art von Besuchern, welche die Handelskammer oder die Bürger hier sehen wollen«, meinte ich. »Kyle, was zum Teufel, ist los? Die Mörder arbeiten direkt vor unserer
Nase. Sie wollen uns etwas mitteilen. Sie schlagen in schönen Städten zu. Sie morden in öffentlichen Parks, in Luxushotels, ja selbst in einer Kathedrale. Wollen sie erwischt werden? Oder glauben sie, dass sie nicht erwischt werden können?« Kyle blickte zu den Kirchtürmen vor uns. »Möglicherweise ein bisschen von beidem. Aber ich bin deiner Meinung. Aus einem Grund, den ich nicht begreife, sind sie leichtsinnig. Deshalb bist du hier. Du bist der Profiler. Du verstehst, wie ihr kranker Verstand arbeitet.«
Ich vermochte den Gedanken nicht aus meinem Kopf zu verbannen, dass sie wollten, dass wir sie erwischten. Aber warum wollten sie erwischt werden?
47
K yle und ich stiegen aus dem Wagen und eilten in die Kathedrale St. John the Baptist. Über dem Hauptportal verkündete ein goldweißes Banner: »Ein Glaube, eine Familie.« Ein imposantes Bauwerk.
Die Zwillingstürme ragten hoch über die Stadt Savannah im Baustil der französischen Neogotik empor. Große Bogen und filigranes Maßwerk an den Fenstern, ein Altar aus italienischem Marmor. Ich nahm alles auf – alles. Aber bisher war mir nichts Ungewöhnliches aufgefallen.
Der Mord war vor knapp zwei Stunden entdeckt worden. Kyle und ich waren wenige Minuten, nachdem wir die Meldung von der Polizei in Savannah gehört hatten, in der Luft gewesen. Jetzt lief die Meldung bereits in sämtlichen Fernsehsendern. Mir stieg der Duft von Weihrauch in die Nase. Ich sah das Opfer, gleich nachdem wir die Kathedrale betreten hatten. Ich stöhnte und hatte ein flaues Gefühl im Magen. Es war ein einundzwanzigjähriger junger Mann, was ich aus den ersten Berichten allerdings bereits wusste. Er hatte im Hauptfach Kunstgeschichte an der University of Georgia studiert und hieß Stephen Fenton. Die Mörder hatten Fentons Geld nicht angetastet. Nichts war gestohlen – abgesehen von seinem Hemd. Die Kathedrale war riesig und konnte etwa tausend Gläubige unterbringen. Der Lichtschein, der durch die bunten Glasfenster fiel, malte ein farbenprächtiges Muster auf den Boden. Selbst aus der Entfernung sah ich, dass der Hals des Opfers aufgerissen war. Die Leiche war wie alle anderen ausgeblutet. Sie lag zu Füßen der dreizehnten Station des Kreuzwegs. Blut befleckte den Fußboden, aber es
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