Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
geschehen. Es war sooo knapp. Natürlich hätte ich dich dann besucht. Dich, Nana und die süßen Kinderchen.«
»Weiß Luu irgendwas ?«, fragte ich.
»Oh, selbstverständlich. Er ist sehr belesen und spricht drei Sprachen fließend. Ich mag Luu sehr. Wir sind enge Freunde.
Ich mag auch Ted Kaczynski, Yu Kikimura, den japanischen Terroristen, und Ramon Malta, der früher beim Medellin-Kartell tätig war. Interessante Menschen sitzen hier, faszinierende Lebensläufe, allerdings viel konservativer, als ich gedacht habe. Nicht Ted, aber die anderen.«
Mir reichte es. Ich hatte genug von Kyle Craig, von Luu, von Florence.
»Ich gehe«, erklärte ich und ging zur Tür.
»Du kommst wieder«, flüsterte Kyle. »Vielleicht besuche ich dich beim nächsten Mal. Wie auch immer, viel Glück bei deinen faszinierenden Mordfällen.«
Ich drehte mich um. »Du wirst hier für den Rest deines Lebens bleiben. Nicht mehr allzu lang, hoffe ich.«
Kyle Craig lachte schallend. Mir lief es eiskalt über den Rücken.
74
Als John Sampson in Bay Head, New Jersey, hineinfuhr, spürte er, wie sich seine Stimmung dramatisch verbesserte. Dieses angenehme Gefühl brachte ihn zum Lächeln. In letzter Zeit lächelte er viel. Verdammt, er ruinierte sein Image als knallharter Bursche, wenn er mit dieser Scheiße nicht aufhörte.
Er fuhr auf der Route 35 dahin, vorbei an großzügig gebauten Strandhäusern, dem Central Market und einigen pittoresken, weiß gestrichenen Kirchen. Dieser Teil des Jerseystrands war ruhig und unbestreitbar schön. Unwillkürlich bewunderte er die Ruhe und die gut erhaltene Schönheit. Vom Meer her wehte eine leichte Brise durch die offenen Fenster seines Cougar.
Geranien und Hagebutten blühten entlang der Straße, offenbar von den Dorfbewohnern angepflanzt.
Was gab es hier, das man nicht mögen konnte? Er war froh, wieder hier zu sein.
Weit weg von Washington, D.C., dachte er. Nicht alles ist schlecht. Auf alle Fälle ein Tapetenwechsel. Eine Pause von all dem Morden.
Während der Fahrt von Washington hatte John Sampson sich bemüht, sich einzureden, dass es bei dieser Fahrt zum Jerseyufer nur um Ellis Cooper und die anderen Morde ging, aber das war nicht die ganze Wahrheit. Cooper war bestimmt ein Teil davon, aber es ging auch um Billie Houston.
An sie dachte er ständig. Was war mit diesem zarten Persönchen?
Einen Teil der Antwort kannte er. Vom ersten Moment an, als er sie kennen gelernt hatte, hatte er sich bei ihr gut gefühlt.
Sie war die Freundin, die er sich schon so lange gewünscht hatte. Das Gefühl war schwierig zu beschreiben, aber er wusste, dass er es noch nie zuvor empfunden hatte. Er hatte das Gefühl, dass er Billie Dinge über sich sagen konnte, die er seit langem in seinem Innern verschlossen gehalten hatte. Er vertraute ihr. Wenn er mit ihr zusammen war, konnte er aus sich herausgehen, die Festung verlassen, die er als Schutz um sich gebaut hatte, um nicht verletzt zu werden.
Andererseits hatte John Sampson noch nie eine längere erfolgreiche Beziehung mit einer Frau gehabt. Er war nie verheiratet gewesen, war auch nie ernstlich in Versuchung geraten, diesen Schritt zu wagen. Daher würde er sich nichts vormachen oder bei Billie zu gefühlsduselig werden. Er hatte gute Gründe, hier in Jersey zu sein. Er musste ihr noch etliche Fragen über die Zeit stellen, in der ihr Mann in Vietnam gedient hatte. Er und Alex hatten von Owen Handler ein paar Dinge erfahren, die noch ergänzt werden mussten. Er würde diesen Mordfall lösen. Irgendwie, irgendwie.
Ach, zum Teufel, diese zynische kurze Nabelschau hatte seine Hochstimmung und aufblühende Romantik in seiner Seele sehr gedämpft.
Da sah er sie zufällig vorn auf der East Avenue.
Jawohl, das war sie!
Billie stieg mit einem Arm voll Einkäufe aus ihrem hellgrünen Cabrio. Er hatte angerufen und ihr gesagt, dass er vielleicht käme.
Für wen war sie jetzt einkaufen gewesen? Erwartete sie, dass er zum Abendessen blieb? O Mann, er musste sich beruhigen.
Ruhig Blut. Du machst hier nur deine Arbeit. Es ist eine reine Polizeiangelegenheit.
Dann sah Billie seinen Wagen und winkte mit dem freien Arm. Er lehnte sich aus dem Cougar und rief: »He, Kleine!«
He, Kleine?
Was, zum Teufel, war mit dem coolen und distanzierten John Sampson geschehen? Was geschah mit ihm?
Und weshalb fühlte er sich dabei so gut?
75
Billie verstand, dass John Sampson mit ihr über ihren Mann und seinen Mörder sprechen musste. Deshalb war er wieder gekommen,
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