Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
auf der vorderen Veranda. Billie trug einen schwarzen Einteiler. Offenbar schwamm sie viel, vielleicht trieb sie anderen Sport. Sie war klein, aber sie sah nicht wie ein junges Mädchen aus. Wahrscheinlich war sie Anfang vierzig.
»Ich weiß, dass ich okay aussehe«, sagte Billie und drehte eine Pirouette. »Du aber auch. Und jetzt stürzen wir uns ins Wasser, ehe dich die Feigheit übermannt.«
»Feigheit? Du weißt doch, ich bin Detective beim Morddezernat?«
»Ah. Das Wasser hat heute neunzehn Grad, harter Bursche.«
»Was? So kalt?«
»Das wirst du gleich feststellen.«
Sie gingen auf die Düne vor dem Haus. Dann rannten sie los.
Sampson lachte schallend, am meisten über sich selbst, weil er so etwas einfach nicht tat .
Sie rannten durch die Brandung wie Kinder in den Ferien, ohne darauf zu achten, dass das Wasser kaum zwanzig Grad warm war. Es war teuflisch kalt, absolut eiskalt.
»Du kannst doch schwimmen, oder?«, fragte Billie, als eine hohe Welle auf sie zukam. Sie glaubte zu sehen, dass er nickte.
»John?«, fragte sie noch mal.
»Ich kann schwimmen, und du ?«
Dann tauchten beide unter der Welle hindurch, als diese sich vor ihnen hoch aufbäumte. Ein Stück hinter der Welle kamen sie wieder an die Oberfläche. Billie kraulte zu einem Punkt jenseits der Brecher. Sampson folgte ihr. Er war ein guter, starker Schwimmer. Aus unbestimmtem Grund war sie darüber entzückt.
»Manchmal lernen Kinder aus der Stadt nicht, zu schwimmen«, sagte sie, als ihre Köpfe dicht beieinander waren.
»Stimmt, aber ich habe einen guten Freund. Als wir in Washington aufwuchsen, sorgte seine Großmutter dafür, das wir es lernten. Sie ging mit uns ins städtische Schwimmbad. Sie erklärte: ›Entweder ihr schwimmt oder ihr ertrinkt.‹«
Dann nahm Sampson Billie in die Arme. Sie wischte ihm mit dem Zeigefinger die Wassertropfen vom Gesicht. Ihre Berührung war zart und liebevoll. Auch ihre Augen. Etwas ging hier vor. Was immer es war – er war nicht sicher, ob er dafür bereit war.
»Was?«, fragte Billie.
»Ich wollte nur sagen, dass du mich in vielerlei Hinsicht total überraschst«, antwortete er.
Billie schloss eine Sekunde lang die Augen, dann nickte sie und machte sie wieder auf. »Du bist immer noch da. Gut. Ich bin froh, dass du noch mal gekommen bist, auch wenn du mich nur verhören willst.«
»Der Grund, weshalb ich gekommen bin, ist, dass ich dich sehen wollte. Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Was immer du sagst, John.«
Niemand außer Nana und Alex nannte ihn John.
Sie schwammen zum Ufer zurück und spielten eine Zeit lang in der cremigen Brandung. Obwohl es schon Nachmittag war, spazierten sie noch nach Süden, vorbei an den großen Villen, die für den kommenden Winter schon verbarrikadiert waren.
Und bei jedem Haus blieben sie stehen und küssten sich.
»Langsam wirst du richtig sentimental«, sagte Billie schließlich. »Das steht dir. Du hast eine weiche Seite, John Sampson.«
»Ja, schon möglich.«
Erneut aßen sie auf der hinteren Veranda zu Abend. Sampson schaltete das Radio ein. Danach kuschelten sie sich auf die Couch. Wieder war er erstaunt, wie winzig sie war. Aber sie passte zu ihm.
»One Night with You« ertönte aus dem Radio. Luther Vandross. Sampson forderte sie zum Tanzen auf. Er konnte es nicht fassen – ich habe gerade Billie auf der Veranda zum Tanz aufgefordert.
Er zog sie an sich. Auch im Stehen passte sie gut zu ihm. Sie bewegten sich harmonisch miteinander – total synchron. Er lauschte auf ihren Atem und spürte auch ihren Herzschlag.
Aus dem Radio ertönte eine alte Melodie von Marvin Gaye, und sie tanzten auch dazu. Alles kam ihm wie im Traum vor.
Völlig unerwartet.
Besonders, als sie gegen halb elf Uhr nach oben gingen.
Keiner der beiden sagte ein Wort. Billie nahm einfach seine Hand und führte ihn ins Schlafzimmer. Ein Dreiviertelmond glänzte auf den Schaumkronen. Hinter der Brandung glitt langsam ein Segelboot dahin.
»Bist du okay?«, flüsterte sie.
»Ich bin viel mehr als okay, und du, Billie?«
»Ja, ich glaube, ich wollte das seit dem ersten Mal, als ich dich gesehen habe. Hast du das früher schon mal getan?«, fragte sie und lächelte wieder schelmisch. Sie spielte mit ihm, aber es gefiel ihm.
»Für mich ist es das erste Mal. Ich habe mich für die richtige Frau aufgehoben.«
»Na, dann wollen wir mal sehen, ob ich das Warten wert bin.«
Manchmal hatte er es eilig gehabt, und das war auch okay gewesen, so war die Welt in
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