Alex Cross 8 - Mauer des Schweigens
wahrscheinlich der einzige Grund. Sie machte eine Karaffe mit Eistee, dann gingen sie auf die Veranda hinaus.
Warum sollten sie es sich nicht gemütlich machen? Mach dich bloß nicht zum Narren!
»Wieder ein perfekter Tag im Paradies«, sagte er und lächelte strahlend. Billie konnte nicht anders: Sie musste diesen Polizisten bewundernd anschauen. Er war stark und sah gut aus, sein Lächeln war einfach hinreißend. Sie hatte das Gefühl, dass er nicht oft genug lächelte, und fragte sich, weshalb das so war.
Was war ihm in Washington passiert, als er aufgewachsen war?
Und dann hatte er dort gelebt und gearbeitet. Sie wollte alles über ihn wissen, und diese natürliche Neugier hatte ihr seit dem Tod von Laurence gefehlt.
Mach aus der Sache nichts, das nicht existiert, rief sie sich zur Ordnung. Er ist ein Polizist in einem Mordfall. Das ist alles. Du dumme Gans, hast dich schlichtweg in ihn verliebt.
»Ein durchschnittlicher Tag im Paradies«, verbesserte sie ihn und lachte. Dann wurde sie ernst. »Du willst noch mehr über Laurence reden. Es ist etwas passiert, richtig? Deshalb bist du noch mal hergekommen.«
»Nein, ich kam, um dich wiederzusehen.« Da war es wieder, dieses verwirrende Lächeln.
Billie winkte ab. »Klar, nur deshalb. Und wie steht’s mit dem Mordfall?«
Er berichtete ihr von den Morden an Robert und Barbara Bennett in West Point und die anschließende Erschießung von Colonel Owen Handler. Billie teilte seine und Alex’ Theorie, dass drei Männer für zumindest einige der Morde verantwortlich waren. »Alles scheint zurück nach Vietnam zu deuten.
Dort muss etwas Unglaubliches geschehen sein, etwas so Grauenvolles, dass es wohl die Wurzel ist, die zu all diesen Morden führt. Dein Mann kann irgendwie beteiligt gewesen sein. Vielleicht wusste er es nicht einmal, Billie.«
»Er hat nicht gern über die Erlebnisse dort drüben gesprochen«, sagte sie und wiederholte, was sie ihm bei seinem ersten Besuch erzählt hatte. »Das habe ich immer respektiert. Aber dann ist etwas Seltsames passiert. Vor ein paar Jahren hat er Bücher über den Krieg mitgebracht. Rumors of War , »Kriegsgerüchte«, hieß eines, daran erinnere ich mich. Er hat den Film Platoon ausgeliehen, von dem er immer behauptet hat, er würde sich ihn nie ansehen. Aber über den Krieg wollte er immer noch nicht sprechen. Jedenfalls nicht mit mir.«
Billie setzte sich in den blauen Schaukelstuhl aus Rattan und schaute hinaus auf den Ozean. Mehrere Möwen segelten über die hohen Dünen. Postkartenschön. Sie erkannte in der Ferne am Horizont die verschwommenen Umrisse eines Ozeanriesen.
»Er hat schon immer getrunken, aber während der letzten Jahre viel mehr. Harte Sachen, Wein. Er hat mich nie misshandelt, aber er entglitt mir immer mehr.
Eines Abends, es wurde schon dunkel, ging er mit der Angelrute und einem Eimer für den etwaigen Fang zum Strand. Es war Anfang September, und die Goldmakrelen schwärmten aus. Er hätte sie mit dem Eimer rausholen können.
Ich wartete darauf, dass er zurückkam, aber er kam nicht.
Schließlich machte ich mich auf die Suche nach ihm. Nach dem Labour Day im September stehen die meisten Häuser hier leer. So ist es nun mal hier. Ich bin ungefähr eine Meile nach Süden gegangen, und langsam bekam ich es mit der Angst zu tun.
Ich hatte eine Taschenlampe mitgenommen. Auf dem Rückweg schaltete ich sie ein und ging näher an die verlassenen Strandhäuser und die Dünen heran. So habe ich ihn gefunden.
Laurence lag im Sand neben seiner Angelrute und dem Eimer. Er hatte eine Flasche Whiskey geleert. Er sah aus wie ein Penner, der die Orientierung verloren hatte und seinen Rausch am Strand ausschlief.
Ich legte mich neben ihn und hielt ihn in den Armen. Ich bat ihn, mir zu sagen, warum er so traurig war. Er konnte es nicht .
Es brach mir das Herz, dass er es mir nicht sagen konnte. Er meinte nur: ›Man kann der Vergangenheit nicht entfliehen.‹
Wie’s aussieht, hatte er Recht.«
76
Sie sprachen viel über Vietnam und die Erlebnisse ihres Mannes nach dem Krieg, bis Sampson Kopfschmerzen bekam. Billie beschwerte sich nicht. Gegen vier Uhr nachmittags machten sie eine Pause und schauten zu, wie die Flut hereinkam.
Sampson war erstaunt, dass der lange Strand an einem so sonnigen Tag mit blauem Himmel völlig verlassen dalag.
»Hast du eine Badehose mitgebracht?«, fragte sie und lächelte.
»Willst du schwimmen gehen?«
»Ja, wäre schön.«
Sie zogen die Badesachen an und trafen sich
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