Alex Cross - Cold
Direktor.
»Emma, Detective Cross möchte dir ein paar Fragen stellen«, sagte Mr. Skillings.
Sie kam mir vor wie ein verängstigtes, vierzehnjähriges Mädchen, das aussehen wollte wie dreißig. Sie hatte viel zu viel schwarzen Lidstrich aufgetragen, und unter ihrer Schuluniform lugte eine ziemlich zerfetzte Leggings hervor. Ihre dicksohligen Stiefel sahen genauso aus wie die, die Zoe am Tag ihres Verschwindens getragen hatte.
»Ist Zoe wieder da?«, platzte sie heraus. »Oh, bitte. Bitte, bitte, bitte.«
»Nein, Emma, tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich brauche deine Hilfe. Kann ich mir bitte mal dein Handy anschauen?«
»Mein Handy? Aber wieso denn? Was ist denn los?«
»Hast du es zufällig dabei?«
»Das will ich nicht hoffen«, schaltete sich Skillings nachdrücklich ein. »Im Klassenzimmer sind elektronische Geräte streng verboten. Nicht wahr, Emma?«
»Es liegt in meinem Bücherschrank«, sagte sie.
Der Direktor signalisierte ihr, dass sie sich auf den Weg machen sollte, ohne seine Ungeduld auch nur ansatzweise zu verbergen. Ich hatte bereits über eine Viertelstunde in seinem Büro zugebracht. So lange hatte es gedauert, bis ich Ms. Allison erreicht und die Erlaubnis bekommen hatte, mit Emma zu sprechen.
Wir folgten ihr nach draußen und gelangten durch eine überdachte Passage in eines der Nebengebäude aus rotem Backstein.
In einem weiteren Flur blieb Emma auf halbem Weg stehen und machte sich am Kombinationsschloss von ihrem Schrank zu schaffen.
Sie holte ein iPhone mit zebragestreifter Schutzhülle heraus und hielt es mir hin.
Ihre Augen blitzten erneut, als ich mir ein Paar Latexhandschuhe überstreifte, bevor ich das Handy entgegennahm.
»Emma, am Samstag hast du gesagt, dass du am Nachmittag vor ihrer Entführung zum letzten Mal Kontakt mit Zoe gehabt hast. Ist das richtig?«, fragte ich sie.
»Ja, genau. Wir haben in der achten Stunde Gesellschaftskunde.«
Sie reckte den Hals und wollte sehen, was ich machte. Ich hatte das Handy eingeschaltet und sah jetzt bei ihren gesendeten Nachrichten nach.
Na, bitte, da war es doch. Neunter September, 8.05 Uhr
»Z schnell ein ziggie vor dem vortrag? Komst du bitteeeee?? Mus dir unbdgt was sagen ...:D E«
»Und am Morgen, als Zoe und Ethan verschwunden sind, habt ihr nicht telefoniert? Nicht gesimst?«, wollte ich wissen.
»Genau«, sagte Emma. »Ich bin in die Schule gegangen, hab das Handy in meinen Schrank gelegt und bin zur ersten Stunde gegangen, wie immer. Wieso?«
»Bist du dir ganz sicher? Das ist wirklich wichtig, Emma. Es ist außerordentlich wichtig.«
»Ich schwöre!« Nervös nestelte sie an dem violetten Bändchen an ihrem Handgelenk. Die meisten Schüler und viele Lehrer trugen seit der Entführung eines.
»Bekomme ich jetzt Schwierigkeiten?«, wollte sie wissen.
»Nein«, erwiderte ich. »Aber dieses Handy hier muss ich noch für eine Weile behalten.«
Eine Minute später hastete ich auf den Besucherparkplatz zu meinem Wagen. Endlich hatten wir etwas Konkretes in der Hand, oder zumindest einen Anhaltspunkt. Ob die ältere SMS, die von Ryan Townsends Handy aus abgeschickt worden war, so etwas wie ein Versuchsballon gewesen war? Hatte es noch mehr davon gegeben?
Und die wichtigste Frage von allen: Wenn Emma Allisons Handy an diesem Morgen in ihrem Schrank gewesen war und sie diese Nachricht gar nicht selbst abgeschickt hatte, wer dann?
Der Betreffende musste auch der Entführer sein. Wer denn sonst?
79
Mit einem Mal kam also eine ganze Menge in Bewegung, sogar mehr, als mir bewusst war. Als ich zurück in die Zentrale fuhr, bekam ich einen Anruf von Ned Mahoney.
»Ich bin’s, deine bessere Hälfte«, sagte er und prustete gleich darauf los.
»Tja, leider haben Bree, Nana Mama und John Sampson ältere Rechte, aber trotzdem... was gibt’s?«
»Diese beiden Festnahmen von gestern Abend. Der Typ im Rollstuhl und seine Komplizin? Ich weiß zwar nicht, in welchem schwarzen Loch die beiden mit einem Mal verschwunden sind, aber einer von denen muss ein paar ziemlich überzeugende Argumente auf den Tisch gelegt haben. Die gesamte Sonderkommission für Terrorismusbekämpfung hat morgen Abend einen Einsatz. Ein Parkhaus in Chinatown wird schon jetzt von allen Seiten überwacht. Mehr weiß ich noch nicht, aber das wird eine Riesensache, Alex. Und dieses Mal stehst du nicht einfach nur rum und schaust aus der Ferne zu.«
Ich konnte nur mit Mühe erfassen, was Ned mir gerade mitgeteilt hatte. Mein Kopf war noch randvoll
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