Alex Cross - Cold
unberechenbar wie möglich zu bleiben.
Ich duckte mich so tief wie möglich und kroch zum Heck des Wagens. Dort angekommen, sprang ich auf, stellte mich breitbeinig hin und drückte ab, noch bevor sie mich registriert hatten.
Mein Gesichtsfeld verengte sich, ich hatte nur diese beiden im Blick. Rot blitzte auf.
Ich hatte den Mann an der rechten Hand erwischt. Er jaulte auf, aber sie verlangsamten ihre Schritte nicht. Die Frau erwiderte das Feuer und schob ihn gleichzeitig vorwärts. Sie konnte sehr gut mit der Waffe umgehen.
Sie huschten zwischen zwei Autos hindurch und kletterten über eine Betonabsperrung. Eine Sekunde später waren sie auf die tiefer gelegene Ebene gesprungen und nicht mehr zu sehen.
Ned Mahoney und ich rannten bereits wieder weiter.
»Sei vorsichtig, Ned. Die schießt wie der Teufel.«
82
Ich warf mich über die Absperrung, den beiden Flüchtenden hinterher, und landete ungefähr drei Meter tiefer auf Beton. Ich spürte den Stoß in jedem einzelnen Knochen. Hätte ich mich nicht abgerollt, ich hätte mir mit Sicherheit die Beine gebrochen.
An der Stelle, an der ich aufgekommen war, waren etliche rote Flecken zu sehen, jeder so groß wie ein Zehncentstück. Allerdings war nicht zu erkennen, welche Richtung sie eingeschlagen hatten. Der Kerl hatte seine blutende Hand wahrscheinlich irgendwie umwickelt.
Alles, was ich sehen konnte, waren parkende Autos, Beton und ungefähr ein Dutzend Ausgänge.
»Was ist los, verdammt?« Mahoney kam die Rampe herunter, gefolgt von mehreren Beamten der Spezialeinheiten. »Wo sind sie hin?«
»Habt ihr sie?«, funkte der Einsatzleiter von oben.
»Negativ«, sagte ich. »Alle Ausgänge überwachen. Und sperrt den ganzen Häuserblock ab, wenn es nicht schon zu spät ist.«
Wir schwärmten aus, suchten die angrenzenden Dächer ab, rissen Türen auf, sahen unter Autos nach. Aber es hatte keinen Sinn. Sie waren weg. Irgendwie hatten sie uns überlistet. Die Frau war ein Profi. Sie war ruhig geblieben und konnte hervorragend mit der Waffe umgehen.
Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass sie von Passanten erkannt wurden. Ihre Gesichter waren jetzt erfasst und registriert. Sämtliche Einheiten in der ganzen Stadt würden in Alarmbereitschaft versetzt werden.
Der Heimatschutz konnte sogar die Brücken abriegeln und Kontrollpunkte auf der Schnellstraße einrichten, aber das lag nicht in meiner Entscheidung.
Als Ned und ich wieder auf dem obersten Parkdeck ankamen, war dort alles geklärt. Enrique Vaillos, einer der Sergeants der Spezialeinheit, saß auf dem Kotflügel des Audi, hinter dem wir vorhin Deckung gesucht hatten. Er hielt sich mit dem Handrücken das Gesicht. Anscheinend hatte er im Verlauf der Festnahme einen ziemlich üblen Schlag abbekommen.
»Wie sieht es bei euch hier aus?«, erkundigte sich Ned.
»Fünf in Gewahrsam, ein Toter«, sagte Vaillos. »Und zwei...?«
»Immer noch flüchtig«, sagte ich.
Ein Stück weiter vorn lag ein großer Araber ausgestreckt auf dem Boden. Er hatte den Kopf in unsere Richtung gedreht, sodass seine großen, glasigen Augen gut zu erkennen waren genau wie das runde, schwarze Loch in seiner Stirn. Selbst jetzt lief mir bei seinem Anblick eine Gänsehaut den Rücken hinunter.
»Was ist denn passiert?«, wollte ich wissen.
Vaillos schüttelte den Kopf. »Das war einfach unglaublich. Diese Frau? Die, die abgehauen ist? Bevor sie losgerannt ist, hat sie sich noch mal umgedreht und diesem Kerl da eine Kugel in den Kopf gejagt. Keine Ahnung, wieso sie das gemacht hat, aber eins steht fest: Es war das Einzige, wofür sie noch Zeit gehabt hat. Hat wahrscheinlich einem meiner Männer das Leben gerettet.«
Er wandte sich ab und spuckte rote Flüssigkeit auf den Betonboden.
»Was soll’s. Das bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Wenn diese Typen sich wie Kannibalen benehmen wollen, dann sollen sie doch, von mir aus. Erleichtert uns die Arbeit.«
Ich dachte noch einmal an diese Frau. Ich war mir sicher, dass sie uns die Arbeit garantiert nicht leichter machen würde.
83
Die »Fünf von Al Ayla« wurden in eine Haftanstalt der US-Marshals in der Massachusetts Avenue gebracht, in einem Gebäudeflügel wurden mehrere schalldichte Verhörzimmer freigeräumt. Jedes maß ungefähr zweieinhalb mal drei Meter, und die Gefangenen wurden einzeln hineingesetzt. Das Wichtigste war, dass sie untereinander keinerlei Kontakt mehr hatten.
Wir arbeiteten in Teams, rotierten von Verdächtigem zu Verdächtigem. Ich
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