Alex Delaware 25 - Tödliche Lektion
aussieht, als wäre er dumm, und die Schule ihn rausschmeißt. Ich sage zu ihm: ›Mach keinen Mist, lern fleißig, du bist ein kluger Junge, nutze die Zeit, in der du nicht Baseball spielen kannst.‹ Er hat die Arbeit trotzdem abgegeben. Hat eine Vier gekriegt.«
Es klang, als würde er uns von einer tödlichen Krankheit berichten. »Nie zuvor hatte er eine Vier bekommen, weder er noch seine Schwester. In meiner Familie gab es einfach keine schlechten Noten. Ich wollte … Zugegeben, ich bin wütend geworden. Ich habe ihn angebrüllt. Damals ist Martin zum ersten Mal mit dem Bus zu seiner Schwester gefahren.«
»Wie lange ist er weggeblieben?«
»Nur übers Wochenende. Sie hat ihn überredet, wieder nach Hause zu kommen, und hat ihm ein Flugticket gekauft. Ich habe ihr jeden Penny zurückgezahlt.«
»Was war beim zweiten Mal?«, fragte ich.
»Das war ein paar Wochen später.« Er blinzelte.
»Worum ging’s da?«
Er seufzte. »Um sie. Ms. Freeman. Die Schule hat ihm eine Nachhilfelehrerin besorgt und alles bezahlt. Für Martin hieß das: Du bist dumm. Er ist ein Dickkopf, wie schon gesagt. Fürs Baseballspielen mag das reichen, aber nicht fürs Leben.«
Seine Stimme überschlug sich vor Ärger. Klang nicht mehr väterlich und fürsorglich. Er beugte sich vor. »Jeder wollte ihm helfen, und er hat allen ins Gesicht gespuckt – nicht wortwörtlich, aber Sie wissen schon, was ich meine.«
»Von seiner Einstellung her«, sagte Milo.
»Davon ließ er sich schlichtweg nicht abbringen.« Mendoza trank einen Schluck Kaffee und hätte sich um ein Haar einen Schwall auf sein weißes Hemd geschüttet. Er musterte die Knopflochleiste und schnippte eine Staubfluse weg. »Glücklicherweise habe ich noch eins in meinem Spind.« Wieder blickte er auf die Uhr. »Ich muss los, mein Dienst fängt an.«
»Wie lange ist Martin beim zweiten Mal in Texas geblieben?« , fragte ich.
»Genauso lang, drei Tage. Diesmal hat ihn Gisella in den Bus gesetzt, weil ich gesagt habe, noch mal fliegen kommt nicht in Frage.«
»Sie sind sich aber absolut sicher, dass er nicht wieder bei Gisella ist.«
»Gisella würde mich nie anlügen.«
»Könnten Sie uns bitte ihre Telefonnummer geben?«, sagte Milo.
»Sie glauben mir nicht.«
»Doch. Nur für den Fall, dass Martin irgendwann bei ihr aufkreuzt.«
»Halten Sie das für möglich?«
»Teenager sind unberechenbar.«
»Wollen wir’s hoffen. Dann müsste sich seine Mutter nicht mehr so quälen.«
Mendoza gab Milo die Nummer. Er hatte sie im Kopf.
»Sind Sie sicher, dass Martin keine Freunde hat, bei denen er Zuflucht suchen könnte?«, fragte ich.
»Das ist ja das Problem. Er mochte seine Mitschüler nicht. Zu reich, zu schnöselig, zu weiß – selbst die Latinokids und die Schwarzen waren für ihn Weiße. Ich habe gesagt: ›Du bist selbst der größte Schnösel. Beurteile Menschen anhand dessen, was sie tun, nicht danach, wer ihre Eltern sind.‹ Er hat gelacht und meinte: ›Als ob du das verstehen würdest.‹ Da habe ich gesagt: ›Du bist ein Supersportler, siehst gut aus, bist klug, warum sollten die dich nicht akzeptieren?‹ Aber daraufhin ist er erst richtig sauer geworden und hat angefangen rumzubrüllen.«
»Weswegen?«
»Wegen allem, was ich gesagt habe. Er soll ein Supersportler sein? Dabei schüttelte er die verletzte Schulter. Das soll ein Sportler sein? Dann hat er sich in die Wangen gekniffen. Das soll gut aussehen? Martin ist eher dunkelhäutig, nicht so hell wie ich. Auch das hat er von der mütterlichen Seite. Ihr Bruder, der Basketballspieler, wird manchmal für einen Brasilianer gehalten. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, aber er hat immer weitergemacht: ›Glaubst du, in so einem Laden gilt das als gut aussehend? Ich bin ein beschissener Außenseiter. ‹ Entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, aber so hat er’s gesagt.«
»Er war ziemlich außer sich.«
»Er hat mit den Armen herumgefuchtelt, hat sich wieder an der Schulter wehgetan. Dann ist er rausgelaufen, aber diesmal ist er zurückgekommen. Mit dem Viereraufsatz. Hat ihn zerfetzt und ihn sich in den Mund gestopft.« Er klang immer noch so, als könnte er es nicht fassen. »Hat das Papier gekaut und verschluckt. Dann habe ich geschrien. ›Was machst du da, du Blödmann, du fängst dir noch was ein dabei.‹ Aber er meinte: ›Seit du mich in diesen Laden gesteckt hast, muss ich jeden Scheiß in mich reinfressen, was macht da ein bisschen Papier als Nachtisch?‹ Dann hat er das Haus
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