Alex Rider 5: Scorpia: Alex Riders fünfter Fall
können wir nur Vermutungen anstellen. Sie alle wissen sicherlich, was ein Smartie ist. Das Innere einer Nanokapsel besteht aus einer Polymerkugel, aus einem Material, aus dem auch Plastikeinkaufstüten hergestellt werden könnten. Vergessen Sie aber nicht, es geht hier nur um wenige Moleküle. Das Polymer hält alles zusammen und würde sich ohne weiteres mit dem Zyankali vermischen lassen. Wenn das Polymer und damit auch das Zyankali freigesetzt wird, stirbt der Betroffene. Und was verhindert, dass es freigesetzt wird? Nun, das ist der Zuckerüberzug auf der Außenseite unseres Smartie s – nur handelt es sich hier nicht um Zucker, sondern um Gold. Eine Kapsel aus reinem Gold, aber so winzig, dass sie mit bloßem Auge nicht zu sehen ist. Dr . Liebermann, der Mann, der getötet wurde, war Spezialist für Kolloidchemie und hat den Herstellungsprozess geleitet.« Wieder unterbrach sie sich kurz. »Entschuldigen Sie. Das alles klingt wahrscheinlich komplizierter, als es ist. Im Prinzip geht es um Kapseln, die mit Gift gefüllt und anschließend außen mit einem Protein besetzt werden.«
»Was bewirkt das Protein?«, fragte jemand.
»Es steuert das Ganze, ähnlich wie bei einem wärmeempfindlichen Geschoss. Es würde jetzt zu lange dauern, die Funktionsweise zu erklären, aber Proteine sind jedenfalls in der Lage, sich im menschlichen Körper zurechtzufinden. Sie wissen genau, wohin sie gehen müssen. Und wenn eine Nanokapsel in die Blutbahn injiziert wurde, findet sie von alleine den direkten Weg zum Herzen, vorausgesetzt, sie ist mit dem entsprechenden Protein beschichtet.«
»Wie viele solcher Kapseln müsste man injizieren?«, fragte Blunt.
»Diese Frage lässt sich nicht beantworten«, entgegnete Dr . Stephenson. »Die Kapseln gelangen ja direkt ins Herz. Wird das Gift freigesetzt, wirkt es praktisch auf der Stelle, und dann braucht man nicht sehr viel davon. Wir untersuchen die Wirkung von Nanokapseln im menschlichen Körper seit Jahren, vielleicht wird einmal ein Heilmittel gegen Krebs daraus. Aber hier geht es um etwas ganz anderes, denn Scorpia hat ja nur das Töten im Sinn. Aber warten Si e …« Sie überlegte kurz. »Bei einer Tuberkuloseimpfung kommt man mit sehr wenig Flüssigkeit aus, etwa ein Fünftel Teelöffel. Grob geschätzt, würde ich sagen, müsste es reichen, wenn man auf hundert Teile Impfstoff ein Teil Zyankali gibt.« Sie rechnete im Kopf nach und nickte. »Das wären dann etwa eine Milliarde Nanokapseln. Und die passen auf die Spitze einer Stecknadel.«
»Aber Sie sagten doch, das Gift ist ungefährlich. Es befindet sich im Innern der Goldkapsel.«
»Das stimmt. Aber ich fürchte, genau hier haben diese Leute eine richtig geniale Idee gehabt. Das Polymer-Gift-Gemisch ist von Gold umschlossen. Die Kapseln haben sich im Herzen eingelagert und richten keinen Schaden an. Wenn weiter nichts geschieht, werden sie nach einer Weile wieder aus dem Organismus ausgeschieden, ohne Resultat.
Aber Scorpia kann das Gold auflösen. Und das geht, wie Alex gesagt hat, per Fernsteuerung. Haben Sie schon mal ein Ei in die Mikrowelle gelegt? Nach wenigen Sekunden explodiert es. Genau dasselbe geschieht hier. Es könnte sein, dass Scorpia vorhat, Mikrowellen einzusetzen.« Stephenson schüttelte den Kopf, sodass ihre langen Haare hin und her flogen. »Nein. Mikrowellen haben eine viel zu niedrige Frequenz. Entschuldigen Sie. Plasmonresonanz zählt nicht direkt zu meinen Spezialgebieten.« Sie zögerte. »Es könnte sein, dass sie mit Terahertz-Strahlen arbeiten.«
»Entschuldigen Sie bitte, Dr . Stephenson«, sagte der Außenminister, »aber ich kann Ihnen nicht folgen. Was sind Terahertz-Strahlen?«
»Die werden bisher noch recht selten eingesetzt. Sie liegen zwischen den Infrarot- und Mikrowellenfrequenzen des elektromagnetischen Spektrums und werden zurzeit für den Einsatz bei medizinischen Bildgebungsverfahren und der Satellitenkommunikation erforscht.«
»Sie behaupten also, Scorpia könnte über Satellit ein Signal aussenden, wodurch das Gold aufgelöst und das Gift freigesetzt würd e …«
»Ja, Sir. Nur dass sie dazu gar keinen Satelliten brauchen. Das wäre ohnehin nicht möglich. Die Strahlen wären zu schwach. Als diese bedauernswerten jungen Fußballer in Heathrow aus dem Flugzeug stiegen, muss dort irgendwo in der Nähe eine Satellitenschüssel gestanden haben. Vermutlich wurde die schon vor längerer Zeit installiert, auf einem der Flughafengebäude vielleicht, oder an einem Mast, und
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