Alex Rider 7: Snakehead
Lippen. Der Mann war unerwartet stehen geblieben und schien wie gebannt etwas anzustarren. Und dann erkannte Alex, dass er selbst es war, dem die Aufmerksamkeit des Fremden galt. Kannten sie sich? Gerade als er sich diese Frage stellte, schob sich eine Menschentraube auf dem Weg zum Ausgang zwischen sie. Als sie sich aufgelöst hatte, war der Mann weg.
Er musste sich das eingebildet haben. Nach dem langen Flug war er müde. Vielleicht hatte der Mann in demselben Flugzeug gesessen wie er. Alex folgte dem Fahrer zum Parkplatz, und wenige Minuten später fuhren sie in dem klimatisierten Wagen auf der breiten dreispurigen Zubringerstraße nach Bangkok hinein – die Stadt der Engel, wie die Einheimischen sie nennen: Krung Thep.
Alex schaute aus dem Fenster und fragte sich, woher die Stadt wohl diesen Namen hatte. Auf den ersten Blick machte sie ganz und gar keinen guten Eindruck: eine riesige Ansammlunghäss licher, altmodischer Wolkenkratzer, wild durcheinandergewür felter Wohnhäuser, Strommasten und Satellitenantennen. Sie hielten an einer Mautstelle; die Kassiererin hinter dem Schalter trug eine weiße Atemmaske zum Schutz vor den Auspuffgasen. Dann ging es wieder weiter. Am Straßenrand tauchte riesengroß das Gesicht eines Mannes auf: schwarze Haare, Brille, offenes Hemd. Es bedeckte die gesamte, zwanzig Stockwerke hohe Fassade eines Hochhauses, auch die Fenster.
»Das ist unser König«, erklärte der Fahrer.
Alex sah sich das Porträt noch einmal an. Wie das wohl ist, fragte er sich, wenn man da drin am Schreibtisch sitzt? Acht oder neun Stunden am Tag am Computer zu arbeiten und durch die Augen eines Königs auf Bangkok hinauszusehen.
Sie verließen die Autobahn und gelangten in ein Chaos aus völlig verstopften Straßen; an jeder Kreuzung versuchten Polizisten den Verkehr zu regeln, ihre Trillerpfeifen fiepten wie sterbende Vögel. Alex sah Tuk-Tuks – motorisierte Rikschas –, Fahrräder und Busse, die aussahen, als seien sie aus einem Dutzend verschiedener Modelle zusammengeschweißt. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Worauf hatte er sich da eingelassen? Wie sollte er sich auf ein Land einstellen, das in jeder Hinsicht vollkommen anders war als das, wo er herkam?
Das Auto bog um eine Ecke. Als sie in die Zufahrt des Peninsula Hotels rollten, lernte Alex noch etwas über Bangkok. Eigentlich waren das zwei Städte: eine sehr arme und eine sehr reiche, die Seite an Seite lebten und doch durch eine gewaltige Kluft voneinander getrennt waren. Das Auto hatte ihn von der einen in die andere gebracht. Jetzt fuhr er durch einengepflegten tropischen Garten. Als sie vor dem Haupteingang hielten, eilten ein halbes Dutzend Männer herbei – einer nahm das Gepäck, einer half Alex beim Aussteigen, zwei weitere begrüßten ihn mit einer tiefen Verbeugung, zwei hielten die Hoteltür auf.
Er trat in die gekühlte Luft des Hotels, im Hintergrund klimperte ein Klavier. Alex schritt über den Marmorfußboden zur Rezeption, und eine nett lächelnde Empfangsdame überreichte ihm einen Blütenkranz. Niemandem schien aufzufallen, dass er erst vierzehn war. Er war ein Gast; alles andere zählte nicht. Man gab ihm seinen Zimmerschlüssel und führte ihn zu einem Fahrstuhl, der die Größe eines Zimmers hatte. Die Türen glitten zu. Nur der Druck in seinen Ohren sagte ihm, dass sie aufwärtsfuhren.
Sein Zimmer lag im neunzehnten Stock.
Zehn Minuten später stand er an einem Fenster, das vom Boden bis zur Decke reichte, und sah auf die Stadt hinaus. Sein Koffer lag auf dem Bett. Man hatte ihm das luxuriöse Bad gezeigt, den Großbildfernseher, den gut gefüllten Kühlschrank und den Präsentkorb mit exotischen Früchten. Alex versuchte die Strapazen des Jetlags abzuschütteln. Er hatte nur sehr wenig Zeit, sich auf seine Aufgabe vorzubereiten.
Die Stadt breitete sich auf der anderen Seite eines weitläufigen, braunen Flusses aus, der sich bis an den Horizont schlängelte. In der Ferne ragten Wolkenkratzer auf. In der Nähe standen Hotels, Tempel, Paläste mit gepflegten Rasen und – gleich daneben – baufällige Hütten und Lagerhäuser, die aussahen, als könnten sie jederzeit in sich zusammenfallen. Alle Arten von Booten fuhren auf dem schlammigen Wasser umher. Moderne Frachter, die Kohle und Eisen transportierten;Fähren, die mit ihren eigentümlich geschwungenen Dächern wie schwimmende Pagoden aussahen; Rennboote, deren Fahrer lässig am Heckruder lehnten. Die Sonne ging am grauen Himmel unter. Als hätte man
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