Alex Rider 7: Snakehead
verschlingen.
Später schlief er irgendwie ein. Er hatte sich nicht ausgezogen. Das brachte er nicht fertig. Er legte sich einfach aufs Bett und schloss die Augen.
Als er sie wieder aufschlug, schien bereits die Morgensonne ins Zimmer. Seine Kleider fühlten sich klamm an. Alle Muskeln taten ihm weh. Er sah auf seine Uhr. Die Zeiger standen immer noch auf elf.
Fast sechsunddreißig Stunden waren vergangen, seit er um Hilfe gerufen hatte. Er horchte, ob sich draußen etwas tat. Ein spitzer Vogelschrei. Das Rascheln von Grashüpfern. Letzte Wassertropfen, die von den Ästen fielen. Draußen war niemand. Der MI6 war immer noch nicht gekommen und jetzt konnte Alex sich nichts mehr vormachen.
Etwas war schiefgegangen. Die Uhr funktionierte nicht. Sie würden niemals kommen.
Nacht
A m nächsten Nachmittag wurde das Schweigen des Regenwaldes von Motorengebrumm gestört. Die Piper kehrte zurück.
Inzwischen hatte eine seltsame Stimmung von Alex Besitz ergriffen, die er sich selbst nicht erklären konnte. Es war beinahe so, als habe er sein Schicksal akzeptiert und könne weder die Kraft noch den Wunsch aufbringen, ihm zu entrinnen. Er hatte die beiden anderen Frauen kennengelernt, die in dem Krankenhaus arbeiteten: Schwester Swaine und Schwester Wilcox, die ihm voller Stolz erklärt hatte, sie werde für seine Narkose verantwortlich sein. Niemand hatte ihn unfreundlich behandelt. Und gerade das machte das alles zu einem einzigen Albtraum. Ständig sahen sie nach, ob er genug zu essen und zu trinken hatte. Ob er etwas lesen möchte? Ob er Musik hören möchte? Bald schon bekam er eine Gänsehaut, wenn er nur ihre Stimmen hörte. Er konnte sich nicht von dem Gefühl freimachen, dass er diesen Leuten gehörte, und dass daran nichts mehr zu ändern war.
Aber noch hatte er nicht vollständig aufgegeben. Er suchte immer noch nach einem Ausweg aus dieser Falle. Der Fluss war unmöglich. Es gab keine Boote und nichts, was man als Boot benutzen konnte. Er hatte den Zaun einmal ganz abgeschritten. Keine Lücken, keine überhängenden Äste. Er hatte überlegt, ob er ein Loch hineinsprengen sollte; schließlich besaßer noch die letzte der drei Münzen, die Smithers ihm gegeben hatte. Aber der Zaun war an einen Stromkreis angeschlossen. Die Wachen würden sofort wissen, was er getan hatte, und ohne Landkarte, Kompass und Machete fand er sowieso keinen Weg aus dem Regenwald heraus.
Vielleicht war es möglich, über Funk Hilfe zu holen. Er hatte den Funkraum im Verwaltungsgebäude gesehen – offen und unbewacht, und bald erkannte er auch warum. Der Sender war an eine Tastatur gekoppelt und ließ sich nur durch Eingabe eines Codes aktivieren. Major Yu hatte wirklich an alles gedacht.
Alex sah das Flugzeug auf dem Wasser landen und in weitem Bogen auf den Steg zugleiten. Er hatte es erwartet. Dr. Tanner hatte es ihm am Abend zuvor bereits angekündigt, dass es kommen würde.
»Das ist dein erster Kunde, Alex«, hatte er gut gelaunt erklärt. »Der Mann heißt R.V. Weinberg. Vielleicht hast du schon mal von ihm gehört.«
Wie üblich sagte Alex nichts.
»Ein Fernsehproduzent aus Miami. Sehr erfolgreich. Aber er hat eine schlimme Augenkrankheit, die sich nur durch eine Transplantation beheben lässt. Das heißt also, wir fangen mit deinen Augen an. Die Operation ist gleich am nächsten Morgen.«
Alex beobachtete von Weitem, wie man dem Amerikaner aus dem Flugzeug half. Dr. Tanner hatte ihn ermahnt, sich dem »Kunden« nicht zu nähern oder ihn gar anzusprechen. Das war eine der Hausregeln. Als Alex ihn jetzt sah, empfand er mehr Hass, als er jemals für irgendeinen Menschen empfunden hatte.
Weinberg war ein schwabbeliger Fettkloß. Er hatte lockige graue Haare und ein wachsbleiches Gesicht mit schlaffen Hängebacken. Er war Millionär, aber seine Kleidung war schäbig; ein Lacoste-Hemd spannte sich stramm um seinen feisten Bauch. Aber nicht nur seine äußere Erscheinung widerte Alex an. Mehr noch seine Selbstsucht, seine Herzlosigkeit. Morgen wäre Alex blind. Dieser Mann würde ihm, ohne darüber nachzudenken, das Augenlicht nehmen, einfach weil er es haben wollte und er das Geld hatte, es zu bezahlen. Major Yu, Dr. Tanner und die Krankenschwestern waren auf ihre Art auch böse, aber Weinberg, der Geschäftsmann aus Miami, war ein ekelerregendes Ungeheuer.
Alex wartete, bis der Mann in dem Haus verschwunden war, das man für ihn vorbereitet hatte, und ging dann ans Ufer des Sees. Das war’s dann also. Ihm blieb nur noch
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