Alexa, die Amazone – Die große Chance
werden.
Alexa und Gerolf gehen über den Hof zur Reithalle. Eine leichte Schneeschicht überdeckt den Boden, in der klaren Luft wirbeln vereinzelt feine Schneeflocken. Es verspricht zwar ein strahlender Tag zu werden, aber die Sonne wärmt nicht. Im Gegenteil: Es ist noch kälter geworden. Alexa zieht das Kinn in die Daunenjacke.
»Heute Nacht war von Schnee noch weit und breit nichts zu sehen ...«
»Du hast dir einen unfreundlichen Monat ausgesucht«, nickt Gerolf, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, über seinen Pullover eine Jacke zu ziehen.
»Die anderen auch«, kontert Alexa.
»Denen bleibt nichts anderes übrig, die haben nur diesen Termin. Die Turniersaison beginnt früh.«
»Ich auch«, platzt es aus Alexa heraus, dann besinnt sie sich kurz und berichtigt sich: »Das möchte ich auch.«
Gerolf verzieht keine Miene. Er hat schon so viele kommen und gehen sehen. Die wenigsten davon haben auch nur die geringste Chance, sich nach oben freizustrampeln.
Alexa beißt sich auf ihre Lippen. Wenn ich weiterhin so überheblich daherrede, werde ich garantiert ganz schön auf die Nase fallen, sagt sie sich und beschließt, ihre Zunge in Zukunft besser im Zaum zu halten. Gerolf geht auf die kleine Tür an der Längsseite der Reithalle zu.
»So kommen wir direkt auf die Tribüne«, erklärt er Alexa.
Die Pforte ist kaum einen Spaltbreit offen, da hört Alexa schon eine laute, offensichtlich verärgerte Stimme.
»Nein, nein, nein! So geht das nicht! Das Pferd ist mit zwei kleinen Fingern zu reiten. Parier durch zum Schritt! Schritt! Schritt hab ich gesagt. Stell dich doch nicht so blöde an, Kreuz Donnerwetter! Und jetzt deutliche Hilfen! Los – woher soll das Pferd wissen, was du willst, wenn du es ihm nicht vermitteln kannst? Ein Pferd ist kein Hellseher. Los! Worauf wartest du denn ...«
Gerolf wirft einen kurzen Blick auf Alexa. Alexa hat seine Reaktion aber vorausgeahnt und lässt sich nichts anmerken.
»Aha, das ist er also«, flüstert sie stattdessen und atmet gleichzeitig gierig den Duft nach warmen Pferdeleibern und staubigem Sägemehl ein. Gerolf nickt und schließt leise die Tür. Eine schmale Holztreppe führt auf die Tribüne.
»Nein, nein! Das ist ja nicht mit anzusehen! Los, komm her! Steig ab! Gib mir die Ballerina mal. Komm, mach schon.«
»Der hat ja einen Ton drauf!« Alexa kann es sich dann doch nicht verkneifen.
Gerolf grinst: »Alte Schule, aber er kann was, er macht denen hier noch allen etwas vor. Und sie haben Respekt vor ihm und reißen sich zusammen, das ist auch wichtig. Da, schau!«
Mit jeder Stufe erspäht Alexa mehr von der Reitschule. Als sie ganz oben stehen, drückt Gerolf sie auf eine Bank. Anscheinend will er nicht gesehen werden.
Oh Gott, ausgerechnet die, denkt Alexa, als sie sieht, was sich in der Bahn abspielt.
Die Abteilung, etwa sechs Pferde, geht im Schritt ganze Bahn. In der Mitte, bei X, führt ein blondgelocktes Mädchen ihr Pferd gerade zu dem Reitlehrer, der wie Karl der Große gerade und mächtig auf seinem Pferd thront. Behände gleitet er nun aus dem Sattel, übergibt dem Mädchensein Pferd, verschnallt nach Augenmaß an dem fremden Sattel die Steigbügel und schwingt sich dann vorsichtig auf den Rücken der zierlichen Fuchsstute. Alexa schaut noch einmal genau hin. Kein Zweifel, das dickliche, blonde Mädchen bei dem Pferd des Reitlehrers, das noch immer wie angenagelt steht, ist Sabine.
Alexa öffnet den Mund, um Gerolf darauf aufmerksam zu machen, erntet aber einen sachten Rippenstoß, bevor sie überhaupt ein Wort gesagt hat.
»Hab schon gesehen«, schneidet Gerolf ihr den unausgesprochenen Satz ab. Er hat sich auf seine Knie aufgestützt und schaut, getarnt durch das schummerige Licht auf der Tribüne, gespannt hinunter. Der Meister ist inzwischen angeritten. Seine Hilfen kann Alexa nicht erkennen, so angestrengt sie ihn auch beobachtet. Aber die Stute scheint, eingespannt durch Schenkel und Kreuz, genau zu wissen, was ihr Reiter von ihr will. Schon sucht sie nach dem Zügel, kaut leise vor sich hin, während sie, die Ohren aufmerksam auf ihren Reiter gerichtet, willig und durchlässig angaloppiert. Außengalopp auf der linken Hand. War es das, was vorhin nicht geklappt hat?
Alexa schaut zu Sabine, die unglücklich neben dem großrahmigen Rappen ihres Reitlehrers steht. Sie weiß wohl nicht so richtig, ob sie aufsitzen soll oder besser doch nicht. In der Zwischenzeit wechselt Hans-Ulrich Siebold mit fliegendem Galoppwechsel durch die
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