Alexa, die Amazone – Die große Chance
kann ebenso gut liegen bleiben. Und überhaupt. Sie hat ja noch überhaupt keine Aufgabe! Was soll sie also tun, wenn sie erst mal aufgestanden ist? Da ihr darauf keine Antwort einfällt, lässt sie sich wieder beruhigt in die Kissen sinken. Zwei Minuten später sitzt sie wieder aufrecht. Und wenn es einen Putzdienst gibt, zu dem sie erscheinen müsste? Oder, noch schlimmer,wenn Harald sie erwartet? Womöglich beim Frühstück, fix und fertig angezogen? Ach, du lieber Schreck. Das wäre ja peinlich. Sie weiß nicht, wo der Frühstücksraum ist, hat dort keinen Platz, und all die fremden Gesichter. Rings um sie herum verstärken sich die Geräusche. Schon hört sie vereinzelt Türen klappern. Jetzt wird sie unruhig. Etwa doch aufstehen? Und wenn ja, was anziehen? Etwa Reitklamotten? Wo sie noch nicht einmal ein Pferd hat? Aber gestern hatten alle Reithosen an. Hach, sie stößt die Luft aus, das ist ja wirklich ganz schrecklich. Wenn sie in Jeans kommt, ist es womöglich auch nicht recht. Stell dir mal vor, sagt sie sich, du musst vorreiten, und sagst dann, einen Augenblick bitte, ich muss mich erst noch schnell umziehen ... unmöglich! Ach, am besten ist wohl doch, ich bleibe liegen. Vorreiten – allein der Gedanke bereitet ihr Bauchschmerzen. Darauf warten die doch alle nur. Sicher sind sie viel besser als ich und lachen sich schief. Jeder kleine Fehler wird mein Untergang! Oh, ist das alles fürchterlich! Sie lässt sich wieder unter die Decke gleiten. Ich warte, bis Harald mich holt. Aber – sie fährt wieder hoch – wie sieht das denn aus, wenn Harald mich holen muss? Wie ein Mamikind?
Menschenskinder, ich bin doch schon erwachsen!
Mit einem Satz ist sie aus dem Bett. Soll nur keiner glauben, sie sei feige! Sie eilt in das kleine Nebenzimmer, dreht die Dusche auf, kontrolliert mit dem Finger die Temperatur und stellt sich dann entschlossen darunter. Jetzt oder nie! Als sie unter dem warmen Wasser hervorkommt, bibbert sie, rubbelt sich mit dem nächstbesten Handtuch kräftig trocken und hilft dann mit duftendem Massageöl nach. Langsam wird ihr warm, und sie fühlt sich besser. Nackt, mit einer langsam einziehenden Ölschicht auf der Haut, beginnt sie in ihrer Reisetasche zu wühlen. Nach und nach zieht sie alles heraus: Unterwäsche, Strümpfe und ihr Necessaire, dann verharrt sie. Und weiter? Reithose oder Jeans? Schließlich ist sie zum Reiten hier und was interessiert sie die Meinung der anderen. Kurz entschlossen greift sie nach ihrer dunkelbraunenReithose und einem Pullover mit Rautenmuster und V-Ausschnitt. Beige-rosa. Den hat sie für Stallarbeit zwar noch nie angehabt – aber in diesem besonderen Fall ...
Mit ein paar Handgriffen ist sie angezogen, putzt sich die Zähne, cremt sich das Gesicht mit einer leicht getönten Lotion ein, zieht sich mit einem grauen Kajalstift einen Lidstrich und tuscht sich die Wimpern. Na also, denkt sie und bewundert ihr Werk, indem sie einige Schritte vor dem Spiegel zurücktritt. Dann bürstet sie ihr langes Haar, bis es leicht und locker fällt, gibt ein paar Tropfen des teuren Parfüms, das ihr Kurt zum Abschied geschenkt hat, hinter die Ohren und auf den Pullover und fühlt sich nun für den Kampf gewappnet. Einen Haargummi steckt sie ein, falls sie doch schon reiten muss, und dann quält sie sich in ihre engen Reitstiefel. Wahrscheinlich die einzigen, die nicht verstaubt sind, fährt ihr dabei durch den Sinn. Im Hinausgehen holt sie sich noch einen Geldschein und klemmt sich die Daunenjacke unter den Arm.
Sie hat vermutet, dass im Gasthaus gefrühstückt würde, aber sie hat sich getäuscht. Als sie auf den Gang tritt und langsam die Treppe zum Erdgeschoss hinuntergeht, hört sie Stimmen und klapperndes Geschirr. Sie geht dem Geräusch nach und steht vor einer zweiflügeligen offenen Tür.
Nichts von der Gemütlichkeit eines Gastraumes ist hier zu finden. Sterile, weiße Wände, moderne, zweckmäßige Tische mit Kunststoffüberzug. Alexa bleibt stehen und sieht sich um. Etwa fünfzehn junge Leute sitzen teilweise in Grüppchen beieinander. Vereinzelte Scherze fliegen hin und her, aber es scheint auch Morgenmuffel zu geben – diese haben sich über ihre Teller und Tassen gebeugt und schauen weder nach rechts noch nach links. Überall ist gedeckt, aber das meiste Geschirr ist schon benutzt. Brotkrümel, zerknüllte Papierservietten, aufgerissene Marmelade- und Kaffeemilchfolien, wie in Hotels, angebissene und liegen gelassene Brötchen, kleine abgepackte
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