Alexa, die Amazone – Die große Chance
allem raushalten zu wollen, sagt er sich und wischt sich eine große Schneeflocke von der Nase. Ich würde ihr damit keinen Gefallen tun. Er dreht sich um und stapft den verschneiten Hügel hinauf, zu Bianca.
Alexa verhält vor der Holztür. Es beschleicht sie immer ein seltsames Gefühl, wenn sie allein in einen bereits vollen Raum hineinsoll. Jetzt oder nie. Entschlossen drückt sie die Klinke – und atmet auf. Außer ihr sind nur ein paar Reiter vom anderen Kurs da. Sie grüßt und ergattert einen Fensterplatz ganz hinten in der Ecke, direkt an dem alten, grün geplättelten Kachelofen. Wohlige Wärme kriecht unter ihren Pullover und breitet sich über ihren ganzen Rücken aus. Sie bestellt sich einen Glühwein, schaut einige Minuten den vier Reitern in der Bahn zu. Michael und das Pickelgesicht sind dabei, dann öffnet sie ihr Buch und versinkt in die Welt von Achamed Alim, dem schwarzen Hengst.
Der zweite Glühwein steigt ihr in den Kopf, die Buchstaben beginnen zu schwimmen, Alexa muss immer häufiger die brennenden Augen schließen. Sie ist auf Seite 121 und hundemüde. Das Licht in der Bahn ist längst ausgeschaltet, ein Blick auf die Uhr lässt sie hochfahren. Kurz vor Mitternacht. Du meine Güte. Außer ihr sitzen nur noch zwei unbekannte Männer im Raum und spielen mit der Wirtin Karten. Alexa steht auf, bezahlt und geht hinaus. An der Außentür empfängt sie lautes Gegröle. Klatsch, ein Schneeball schlägt dicht neben ihr ein.
Etwa zehn dick gekleidete Gestalten liefern sich auf dem Hof eine lautstarke Schneeballschlacht. Zack, diesmal trifft es sie an der Brust.Wenn das keine Aufforderung ist. Blitzschnell legt Alexa ihr Buch in den Gang zurück und mischt sich ins Getümmel. Da erkennt sie Irene. Ich dachte, sie wollte schlafen, fährt es ihr durch den Sinn. Frank stürmt mit einem Arm voll Schnee auf sie zu. Alexa stürzt sich ihm entgegen, zu zweit kugeln sie sich auf dem Boden. Andere werfen sich auf das Knäuel. Alexa prustet und versucht den nächstbesten Kopf in den Schnee zu drücken. Außer Irene und Frank hat sie noch niemanden erkannt, aber das ist jetzt auch egal. Die Schlacht wird hitziger, das Gejohle lauter. Alexa kreischt auf, eine Hand hat ihr Schnee unter den Pullover geschoben. Sie rächt sich wahllos, was in dem Getümmel nicht schwer ist. Füße stoßen, Arme rammen, Hände greifen.
Alexa versucht, sich freizustrampeln.
»Halt, aufhören!«, prustet da eine Stimme. Es ist Irene. Wie auf Kommando bleiben alle reglos liegen, dann stehen sie auf und betrachten lachend ihr Werk. Sie wirken wie zu Fleisch und Blut erwachte Schneemänner. Gegenseitig klopfen sie sich ab.
»Teufel, ich glaube, mir sind die Finger abgefroren«, klagt Irene und steckt sie sich zum Wärmen in den Mund.
Alexa erkennt nun auch die anderen. Es ist der gesamte Kurs. Auch Friedhelm, Peter und der andere aus dem Gespann sind dabei. Wo haben die bloß die ganze Zeit über gesteckt? Der Schönling versucht, seine Haare in Ordnung zu bringen. Strähnig und wirr hängen sie ihm ins Gesicht.
»Wo wärmen wir uns jetzt denn auf?«, fragt er und streicht die nasse Mähne erfolglos nach hinten.
Michael fächert den Schnee aus seinem Kragen. Er, ganz in Schwarz, sticht in der hellen Nacht am besten vom Schnee ab.
»Nun, in die Kneipe zurück können wir nicht mehr, da sind wir ja eben rausgeflogen. Ob wir im Reiterstübchen noch was bekommen?« Er blickt sich in der Runde um.
»Da komme ich gerade her«, wirft Alexa ein. »Die Wirtin ist noch da!«
»Was hält uns dann noch? Auf geht’s!«
Frau Jung hat gegen den späten Umsatz nichts einzuwenden. Aber nach einer Stunde, in der sich alle nur noch um den warmen Kachelofen quetschen und sich die Finger an heißen Glühwein-Gläsern aufwärmen, kann sie auch die ausgelassene Stimmung ihrer Gäste nicht daran hindern, den Laden zu schließen.
»Auf, auf!« Resolut hält sie die Tür auf. »In sechs Stunden ist die Nacht zu Ende!«
Dem kann keiner widersprechen und so trollen sie sich gemeinsam. Alexa fällt todmüde, aber rundherum zufrieden ins Bett. Langsam wird sie in die Gemeinschaft aufgenommen, das fühlt sie. Wenn ihr Irene am Abend auch noch vorgegaukelt hat, sie würde früh schlafen gehen. Sie wollte sie einfach nicht dabei haben. Aber allmählich wendet sich das Blatt, mit diesem Gedanken schläft Alexa ein. Sie träumt von Achamed Alim, der sich plötzlich in Chicolo verwandelt. Gemeinsam jagen sie über endlose Steppen, an Nomaden und
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