Alexa, die Amazone – Die große Chance
weiterentwickeln kann, bleibt sie vor einer weiteren, sperrangelweit offen stehenden Box stehen. Amor ist weg. Sabine hat ihr weißes Prachtstück doch nicht mitgenommen ...
Sie steht noch etwas ratlos an Amors Box, da fällt ihr etwas anderes auf. Leise klassische Musik zieht wie ein unaufdringlicher Hauch durch die Stallgasse. Alexa geht den Klängen nach. Ohne Zweifel, sie kommen aus der Reithalle. Das Tor ist geschlossen. Also ist jemand in der Bahn.
Aber Ariane ... und Amor? Alexa geht zu dem kleinen vergitterten Fenster, durch das man einen Teil der Bahn überblicken kann. Der Anblick verschlägt ihr den Atem. Was sie da sieht, ist überwältigend. Im starken Trab wechselt Harald auf Ariane gerade von F aus durch die ganze Bahn auf Alexa zu. Die Stute scheint zu einem überirdischen Wesen geworden zu sein und keinerlei Bodenkontakt mehr nötig zu haben. Die rote Mähne und der lange Schweif fliegen im Takt, sie trägt den Kopf stolz genau in der Senkrechten, ein Bild der vollkommenen Versammlung, von den Nüstern bis zur Schweifwurzel. Alexa drückt die Nase ans Gitter, denn nun kommt auch Amor in ihr Blickfeld. Er ist Arianes Gegenspieler, wechselt genau in die entgegengesetzte Richtung. Bei X treffen sich beide wieder. Eine gertenschlanke, hochgewachsene Reiterin sitzt auf dem Schimmel, ganz in Schwarz, die Haare zu einem strengen Knoten gebunden. Alexa sieht nur den Rücken, und das bei Gegenlicht. Bei A, an der kurzen Seite, erkennt Alexa die Fremde plötzlich:Bianca. Es ist tatsächlich Bianca. Harald und Bianca reiten in der Mittagspause einen »Pas de deux«. Was es nicht alles gibt! Alexa schleicht auf die Tribüne. Nun mache ich es auch einmal so, wie Harald hinter seiner Spiegelwand, sagt sie sich und der Schalk blitzt spitzbübisch aus ihren Augen. Eine Vorstellung von Harald und Bianca ganz für sie allein. Sie beobachtet Bianca, die mit Amor meisterhaft umgeht. Aus den beiden Springpferden sind plötzlich Dressurpferde geworden. So als hätten sie nie etwas anderes gemacht.
Der Kontrast ist übrigens gut, stellt Alexa fest. Die schlanke, zierliche Bianca auf dem weißen Kraftprotz und der muskulöse Harald auf seiner gazellenhaften Stute. Bianca und Harald gehen ihre Kür durch, minutiös auf die Musik abgestimmt. Es ist das erste Mal, dass Alexa Haralds Freundin auf einem Pferd sieht. Genau genommen hat sie noch nicht einmal gewusst, dass Bianca überhaupt reiten kann. Komisch, sie hat sie nie danach gefragt. Dabei ist es doch bei einem Partner wie Harald fast anzunehmen. Trotzdem überrascht es sie. Und dann auch noch gleich so gut. Es sieht fast so aus, als sei Bianca ausgebildete Dressurreiterin. Vielleicht springt sie dafür nicht, überlegt Alexa. Dass ich aber auch nie mit ihr darüber gesprochen habe. Seit den »Begrüßungsspaghetti« hat sie Bianca kaum noch gesehen. Alexa hat sich in Selbstdisziplin geübt und sich von dem sechseckigen Haus ferngehalten. Einmal ist sie zum Kaffee mitgegangen, ja, aber da war Bianca nicht da. Harald hat ihr erklärt, dass Bianca wegen ihrer Agentur die meiste Zeit in Hamburg ist. Nun ja, Alexa hat auch nicht darauf geachtet, ob der Jaguar in der Garage steht oder nicht. Schließlich geht sie das ja auch nichts an. Aber jetzt, direkt zu ihren Füßen, zeigt ihr Bianca vorbildlich die Schule der Dressur.
Eben reiten sie im versammelten Galopp durch die ganze Bahn aufeinander zu. Bevor sie sich ganz erreicht haben, drehen die beiden Pferde, nur knapp voneinander getrennt, eine Pirouette. Die Wendung aus demGalopp heraus um 360 Grad, die Alexa noch nie ernsthaft angegangen ist. Alexa überwacht die Motorik der beiden Pferde mit Argusaugen. Gleichmäßig bewegt sich auf kleinstem Raum die Vorderhand in mehreren Sprüngen um die Hinterhand. Beide Pferde stehen sicher am Zügel und an den Hilfen. Die Sprungfolge ist, soweit Alexa es beurteilen kann, einwandfrei, der höchste Versammlungsgrad erreicht. Donnerwetter. Das hätte sie Bianca nicht zugetraut. Und Amor schon zweimal nicht. Diesem muskelbepackten Koloss. Die Streicher beruhigen sich wieder auf dem Band, die Pauken schwingen gedämpft weiter, der musikalische Höhepunkt ist überschritten, das Thema strömt wieder gleichmäßig aus den beiden phonstarken Lautsprechern. Im fliegenden Galoppwechsel zu zwei Tempi schweben der Schimmel und die Fuchsstute in sauberer Trittfolge schnurgerade durch die Bahn. Die Bewegungen wirken erhaben. Alexa genießt den Anblick. Die Musik verklingt rechtzeitig mit
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