Alexa, die Amazone – Die große Chance
aufgezogen wie überdrehte Blechtiere. Richtig. Harald hebt die Hand.
»Lasst’s laufen!« Sein Ruf geht im gleichzeitigen katapultähnlichen Davonschießen der Pferde fast unter. Das feuchte Leder der Sättel knirscht leise, Hufe schlagen den Schnee, Hälse strecken sich, Schaumfetzen fliegen. Alexa duckt sich tief in die wild flatternde Mähne. Sie lässt Caprice den Kopf nicht ganz frei. Die Stute pullt, kämpft gegen den Zügel. Sie liegt mit Ariane, Amor, Sultan und Tanja an der Spitze. Noch liegen sie Brust an Brust, Nüstern an Nüstern. Da gibt Harald seiner Ariane das Zeichen zum Spurt. Mit einem gewaltigen Satz reagiert seine rotgoldene Stute, vergrößert ihre Galoppade und versucht die anderen zu übertrumpfen. Irene hatte Harald aus den Augenwinkeln heraus aber genau beobachtet. So beschleunigt sie Sultan gleichzeitig mit Ariane. Das bringt nun Caprice völlig aus dem Häuschen. Mit einem kräftigen Kopfruck verschafft sie sich für einige Sekunden den nötigen Spielraum. Wie eine Stahlfeder schnellt sie vor, zieht an Amor und Tanja vorbei, setzt sich auf gleiche Höhe mit Ariane. Sultan wird bereits etwas langsamer. Aber Haralds Ariane scheint überhaupt erst anzufangen. Caprice jagt neben ihr her, versucht das Tempo zu halten. Ihre Beine wirbeln neben denen von Ariane. Aber Arianes Ehrgeiz ist erwacht. Sie ist die Führerin im Stall! Die Fuchsstute streckt sich nochmals, legt die Ohren an – und lässt Caprice um eine Kopflänge hinter sich. Alexa spürt, wie Caprice kämpft, um gegen Ariane keinen Boden zu verlieren – und tatsächlich – sie schließt Zentimeter um Zentimeter auf. Schon liegen die beiden Stuten fast wieder auf gleicher Höhe. Aber Ariane hat wohl noch etliche Kraftreserven. Sie wird nochschneller. Alexa, im tiefen Jagdsitz auf Caprice, sieht nur noch Schneebrocken zu allen Seiten spritzen. Das Tempo raubt ihr den Atem, der kalte Wind schneidet ihr Gesicht, aber das Fieber hat auch sie gepackt.
»Auf, Caprice, zeig’s ihr«, flüstert sie im Takt, die glühenden Wangen an Caprices feuchtem Fell. Die Stute gibt ihr Letztes her. Die anderen sind längst um Pferdelängen zurückgefallen. Der Zweikampf steigert sich, jagt dem Ende zu. Noch liegen die beiden Struckat-Pferde fast nebeneinander. Aber Ariane kämpft sich mit zäher Verbissenheit vor. Caprice versucht das Tempo zu halten. Doch der rehbraunen Stute geht langsam die Kraft aus. Ariane hat auf diesen Moment gewartet. Mit schrillem Wiehern kündigt sie den Sieg an, im Unterbewusstsein gibt sie unerbitterlich Befehle an Muskeln, Sehnen und Nerven weiter, verarbeitet ihre letzten Reserven ... und zieht endgültig an Caprice vorbei. Einsam an der Spitze, reckt sie den Kopf hoch, das stolze Bild eines erfolgreichen, siegesbewussten Pferdes. Harald lässt seine Stute auslaufen. Dann dreht er sich nach den anderen um.
»Wo bleibt ihr bloß?«, ruft er lachend und seine Augen blitzen, während er Ariane ausgiebig den Hals klopft.
Die feste Schneedecke auf dem Hof dämpft das Klappern der Hufe. Trotzdem hört es Klaus sofort. Er geht der Gruppe entgegen, um Harald das Pferd abzunehmen. Alexa reitet zu ihm hin.
»Na, wie war’s?«, fragt Klaus rhetorisch.
»Himmlisch«, kommt prompt die Antwort. Dann senkt Alexa die Stimme und sagt mit Verschwörermiene: »Harald hat eine Überraschung für dich!«
»Ist nicht wahr ...«, antwortet Klaus verdutzt. »Was denn?«
»Wird nicht verraten. Wirst du schon sehen«, lacht Alexa und blinzelt ihm zu.
»Du hast es uns ja ganz schön gezeigt!« Frank führt seine goldschimmernde Fuchsstute vorbei. Er grinst breit. »Ihr zwei wart stark in Form. Sogar der Chef hatte Mühe!«
»Ich?« Alexa lacht. »Ich hatte da oben ja überhaupt nichts mehr zu bestimmen. Musst schon mit Caprice selbst reden.«
Sie prüft Caprices Fell. Trocken. Der gemütliche Heimritt hat die dunklen Flecken an Hals und Brust verschwinden lassen. Nur die durch das Schwitzen aufgewühlten kurzen Haare zeugen noch von dem Sprint. Alexa nimmt den Sattel ab und führt die Stute auf der Stallgasse an den anderen Pferden vorbei. Hektisches Treiben herrscht um sie herum. Verschwitzte Sattellagen, Hälse und Hufe werden abgewaschen, Sehnen, Muskeln und Gelenke abgetastet. Das Pickelgesicht legt seiner Akazie einen kalten Umschlag um den linken Vordermittelfuß, anscheinend ist er leicht geschwollen. Alexa tauscht die Trense gegen das weiche Lederhalfter und bindet Caprice ebenfalls auf der Stallgasse an. Klaus, ein Handtuch
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