Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
verschlossen. » Kann jemand ein guter Zimmermann werden, wenn er weder weiß, was Holz ist, noch Werkzeuge besitzt? Vielleicht, ja; durch Zufall und bewundernswerte Leistung. Aber selten. Der Sohn eines guten Zimmermanns mag beschließen, Töpfer zu werden; aber dann weiß er noch immer, was Holz ist, und er weiß, daß die Grundsätze des einen Handwerks auch auf das andere anwendbar sind. Deshalb gibt es sicher viele schlechte Hellenen– aber jedenfalls mehr schlechte Hellenen als gute Perser.«
Nachmittags kam die Gruppe zurück aus Beroia; Kleitos begleitete sie selbst. Nachdem er Aristoteles und die anderen Lehrer begrüßt und Anordnungen für den Aufbruch am nächsten Morgen getroffen hatte, nahm er Alexander beiseite. Sie gingen über den Platz, zwischen den Gebäuden hindurch in den Wald, langsam.
» Meine Schwester Lanike, die dich wie eine Mutter gesäugt hat, schrieb mir aus Pella. Sie sendet dir Grüße und hofft, daß es dir wohl ergeht.«
» Es geht mir gut; ich danke dir– und ihr.« Alexander lächelte, dann zögerte er. » Hast du… gibt es vielleicht… Grüße von meiner Mu… von Olympias? Oder Philipp?«
Kleitos hob die Schultern. » Philipp ist in Thrakien. Oder auf dem Heimweg von dort nach Pella. Und Grüße von Olympias? Um die Wahrheit zu sagen, ja und nein.«
» Gibt es in der Wahrheit ein Ja und gleichzeitig ein Nein?« Alexander schnitt eine Grimasse.
Kleitos kratzte sich den Kopf. » Ich fürchte, das gibt es. Ich fürchte, in der Wahrheit gibt es nicht nur ein Ja und ein Nein, sondern auch viele Warum und Wieso und Vielleicht. Und sehr wenig Wahrheit. Aber ich schätze, das muß Aristoteles entscheiden. Ich bin ja nur ein dummer Krieger.« Er grinste.
» Wenn Krieger dumm wären, hätten sie keine Tugend. Und da du ein freier Mann bist, Kleitos, darfst du nicht dumm sein. Also sag die Wahrheit– was ist mit Olympias?« Sie waren stehengeblieben, gingen zurück zu den Gebäuden. Kleitos klopfte Alexander auf die Schulter. » Gut gesagt, mein Freund. Du weißt, wozu du hier bist und warum ich dich im Auge behalte?«
Alexander sah ihn von der Seite an. » Ich bin hier, wie die anderen, um etwas zu lernen. Und du bist hier, um dafür zu sorgen, daß keiner sich da einmischt.«
Kleitos nickte. » Genau. Also?«
» Also bist du nicht hier, um mir etwas von meiner Mutter zu erzählen.«
Kleitos zwinkerte. » Abermals richtig. Muß ich behaupten, es täte mir leid?«
Alexander lächelte und nahm Kleitos’ Arm. » Muß ich jetzt behaupten, es täte mir leid?«
Beide lachten. Plötzlich schüttelte Kleitos den Kopf und sagte: » Ich sehe was. Bleib hier.«
Alexander lehnte sich an einen Baum und verschränkte die Arme. Etwas wie Sehnsucht, Trauer und Trotz, aus gleichen Teilen zu einer namenlosen Mischung geworden, lag in seinen Augen. Kleitos ging auf Zehenspitzen zum hinteren Eingang der großen Küche, einer Halle mit weiten Fenstern, mit Feuern, Herden, Töpfen, Kesseln und Sklaven.
Der Hauptkoch, ein hellhäutiger Sklave, nackt bis zu den Lenden, stand neben einem gewaltigen Bronzekessel voller Brühe, er rührte mit einem langen Holzlöffel, warf Dinge hinein und murmelte.
» Und freu dich, wie meine Mutter gesagt hat, und ein bißchen Salz, daß du ein Hellene bist, noch etwas gewürfelten Hammel, weil das heißt, du bist frei, und wilden Thymian, und nie wird man dich zum Sklaven machen, außerdem ein wenig Liebstöckel, und das hat sie gesagt, und dann haben wir die Schlacht verloren, und Minze und Rosinen, und jetzt bin ich Sklave bei den Barbaren, und Brotkrümel, und koche für sie, und das Restchen gebratenes Lamm, für Barbarenbälger, und pissen muß ich auch.« Er langte nach einem kleineren Kessel, lupfte den Schurz an, ließ sein Wasser in den Kessel rinnen, hob ihn hoch und grinste breit. » Ah, die merken den Unterschied nicht. Barbaren haben doch keine Ahnung von gutem Essen, wie?« Er hob das Gefäß, um es in den großen Suppenkessel zu leeren. Dann hielt er inne, wie gefroren, und seine Augen traten aus den Höhlen.
Die kalte Spitze des Dolchs berührte eine Stelle neben seinem linken Schulterblatt. Kleitos’ Lächeln war Eis, und seine Stimme Winter.
» Und jetzt, Koch für Barbarenbälger, trink.«
Mit fadendünner Stimme sagte der Koch: » Muß ich?«
Kleitos bewegte den Dolch ein wenig. » Du mußt. Alles.«
Niemand hatte etwas bemerkt; Olympias hatte ihm den Weg gewiesen. Pausanias war eben aus Thrakien heimgekommen, mit Philipp und einem
Weitere Kostenlose Bücher