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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Nebel, den der Sturm verweht.
    Olympias wendet sich vom Altar fort. Sie ist durchnäßt und bebt. Sie hebt die Arme zum dunklen Himmel; in ihrem Gesicht mischen sich Angst und Grauen mit Lust und Triumph.
    Die Farben des Hintergrunds ändern sich von Grau zu trübem Rotgelb. Olympias, noch immer in der gleichen Haltung, steht in einem erleuchteten Tempel. Die Farben und Lichter schwanken; ein großes Feuer und flackernde Fackeln lassen die Umrisse und Schatten tanzen. Olympias trägt einen weißen Chiton und eine leuchtend hellrote Hüftschärpe. Neben ihr, die Arme vor der Brust verschränkt, bewegt ein ägyptischer Priester in langem schwarzen Gewand mit feurig goldenen Bildern und Zeichen den Oberkörper langsam vor und zurück. Seine tiefe Stimme füllt den riesigen Tempel aus.
    » Ammon– AM mon– amm ON – AAA mon– aaa MUN …« Er singt den Namen wieder und wieder, mit kleinen Abwandlungen; die Anrufung endet mit einem dröhnenden, beinahe ekstatischen » Om«.
    Vor ihnen, auf einem weißen Altarstein, liegt ein Widder. Blut aus der zerschnittenen Kehle und dem aufgerissenen Bauch rinnt hinab zu den milchig grauen Steinplatten des Bodens. Aus dem Schlangennest der Eingeweide steigt Dampf.
    Hinter dem Altar, erst nach und nach zu erfassen in seiner ungeheuren Größe, sitzt Zeus-Ammon auf einem Thron aus Gold und schwarzem Holz. Der Thron ruht auf einem breiten, weißen, viereckigen Sockel mit schwarzen und roten Symbolen: hellenischen Zeichen, ägyptischen Glyphen und kantigen Schriftkeilen. Die Statue des Gottes– Elfenbein und Gold– berührt im oberen Zwielicht die von massiven Säulen getragene Decke. Auf einem der goldenen Widderhörner des Gottes glüht der Widerschein des Feuers. Weihrauchschwaden treiben durch den Tempel. Beim letzten dröhnenden » Om« scheint ein tückisches Lächeln um die Lippen des Gottes zu spielen. Er hat einen schwarzen Bart; seine Ohren sind riesig.
    Der Ägypter läßt die Arme sinken und wendet sich zur Seite. » Komm, Aristandros.« Seine Stimme ist heiser und wie geschrumpft.
    Ein hellenischer Priester hat vor dem Gott ausgestreckt auf dem Boden gelegen. Nun steht er auf. Er geht zum Altar, berührt eines der Hörner des geopferten Widders, wühlt in den Eingeweiden und untersucht die Leber. Der Ägypter und Olympias treten neben ihn.
    » Es ist gut«, sagt Aristandros.
    Der Ägypter nickt, dann schaut er Olympias an. » Bist du bereit, die Bürde zu tragen?«
    » Habe ich eine Wahl?« Ihre Stimme klingt traurig und einsam.
    Der Ägypter schweigt; Aristandros seufzt leise. » Wie können wir das wissen? Die Götter haben die Dinge so angeordnet. Vielleicht haben sie auch vorherbestimmt, ob wir gehorchen oder uns weigern. Aber ich werde bei dir sein– wenn das ein Trost ist.«
    Der Ägypter öffnet sein bis zum Hals verschlossenes Gewand. Er streift die feine Goldkette über den Kopf, kniet vor Aristandros und hebt die zum Teller geformten Hände.
    Der Hellene nimmt das Amulett entgegen: ein goldenes ankh mit dem Auge des Horos in der Schlaufe. Er führt es an die Lippen, dann taucht er es in das Blut des Opfertiers und reicht es Olympias. Sie hängt das Amulett um ihren Hals und schiebt es unter den weißen Stoff. Über ihren Brüsten verfärbt sich der Chiton.
    Peukestas zuckte zusammen; wie einer, der im Einschlafen noch einmal jäh geweckt wird. Seine Knie schmerzten ein wenig. Aristoteles ließ sich in die Decken und Kissen sinken; die Hand mit dem Amulett verschwand unter einem Fell.
    » Das ist untauglich.« Die Stimme des Philosophen war heiser und erschöpft. » Und es ist zu sehr wie Platon.«
    Peukestas rieb sich die Augen und blinzelte. » Wie lang hat es gedauert?«
    Aristoteles grunzte leise. » Vielleicht zehn Atemzüge. Aber es taugt nicht.«
    Peukestas erhob sich und tastete nach seinem Schemel. » Auf diese Weise könntest du in einer Stunde ein Leben wiedergeben.« Seine Stimme war flach von Staunen, aber auch Entsetzen darüber, Spielball einer unheimlichen Macht gewesen zu sein.
    Aristoteles verzog das Gesicht; etwas wie Geringschätzung schwang in seiner Stimme mit. » Wie gesagt: Langes Leben lehrt vielerlei Unfug. Aber ich habe die Kraft nicht mehr, die eine Stunde davon kosten würde. Und…«
    » Wieso ist es zu sehr wie Platon und taugt nicht?«
    Der Greis runzelte die Stirn. » Erworbenes Wissen ist Besitz, eingeflößtes Wissen ist Traum von Besitz. Münze, mit der du nicht zahlen kannst. Sie hat nur eine Seite.«
    » Gibt es das–

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