Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
vorbei an den marschierenden Kämpfern, die unter ihren Waffen und Packen schwitzen. Weiter hinten, auf einem der Karren, sichten Drakon und Philippos, am Vortag von Mieza aus zu ihnen gestoßen, die Vorräte der Heiler. Sie reinigen und schleifen Drakons Werkzeug, die Knochensägen, die Wundmesser, die Zangen. Um sie her stehen und liegen Bündel und Körbe: Kräuter, saubere Tücher, Kistchen mit weiteren Messern, Nadeln, Klammern.
Philippos hält ein paar merkwürdig geformte Zangen hoch, dann ein sehr langes, dünnes, gerades Messer. » Wozu ist das alles?«
Drakon kaut auf einem Zahnstocher; mit schnellen Bewegungen der Zunge und der Lippen befördert er ihn in einen Mundwinkel. » Die Zangen sind zum Entfernen von Pfeilspitzen aus einem Körper. Und das Messer? Du weißt, es gibt Wunden, die zu schlimm sind, als daß wir sie je heilen könnten. Das Messer ist mein besonderer Freund, ein Herzenfresser und Seelenesser. Der Freund, der die Qualen beendet.«
Philippos läßt das Messer fallen, als ob es glühend heiß wäre. Alexander reitet vorbei, wendet dann erneut und bleibt neben dem Karren. » Gute Zusammenarbeit?« Er zwinkert.
Philippos lächelt gequält. » Gut, gut. Von Aristoteles habe ich alles gehört, was ich je über Heilkräuter wissen wollte. Von Drakon höre ich jetzt alles, was ich nie über Messer wissen wollte.«
Drakon grinst, spuckt den Zahnstocher aus und langt nach einem kleinen Brett, auf dem Kräuterhäufchen liegen: Steineppich, Salbei, Schlangen- und Königskraut, Minze. Drakon hackt und schneidet alles, nicht zu klein, und rollt es zu Bällchen, die er in ein Lorbeerblatt wickelt. Es gelingt ihm, diese Arbeit kunstvoll zu beenden, ohne auf dem holpernden Karren etwas zu verschütten.
» Wozu ist das gut?«
Drakon steckt ein Bällchen in den Mund. » Zum Kauen, Alexander, wozu sonst? Es macht den Atem rein und angenehm. Du brauchst es nicht; dein Atem ist ein Wunder.«
» Warum kaust du immer?«
Drakon grinst, bückt sich und hebt einen Beutel hoch; darin rasselt es. Er öffnet ihn– es ist schon fast ein Sack– und zeigt Philippos und Alexander seine Sammlung feinster Zähne. » Gesunde Dinge kauen macht die Zähne gesund; kräftige Dinge kauen macht sie kräftig. Oder hält sie gesund und kräftig. Ihr wißt ja, ich schneide Leuten, die ihre Zähne verloren haben, die Gaumen auf und pflanze ihnen neue ein.«
Philippos schüttelt sich; Alexander grinst. » Dann könntest du doch eigentlich aufhören zu kauen und deine Zähne ausfallen lassen. Ich bin sicher, Philippos würde dir die besten aus deiner Sammlung einsetzen.«
Beide Heiler betrachten einander; beide sagen gleichzeitig: » O nein.«
13 .
Der Antrag des Demosthenes
Von Kanopos nach Kyrene, von dort mit einem korinthischen Frachter über Pylos, Korkyra und andere Plätze nach Korinth– für Tekhnef war es zunächst eine beschwerliche Reise. Sie war bisher nur auf dem Nil gefahren und litt tagelang unter Seekrankheit; später genoß sie die Fahrt ebenso, wie sie die Enge an Bord haßte. Niemand, außer dem Kapitän in seinem Verschlag unter dem Achterdeck, war je allein oder außer Sicht der anderen. Manchmal saßen Dymas und Tekhnef im Bug, zählten die Sterne, gaben ihnen neue wunderliche Namen, sprachen leise über die Zukunft. Einiges bedurfte keiner Erörterung. Dymas wollte wandern, eine neue, noch bessere Kithara besitzen und sie noch besser spielen, vielleicht eine wandernde Musikertruppe für vielschichtige Klänge und berauschendes Zusammenspielen aufbauen; wenn nicht jemand sie beraubte, hätten sie für Jahre genug Geld. Er hatte die zehn Minen aus Karchedon niemals angerührt; sie lagen in einem Bankhaus von Korinth, mit dem auch Demaratos Geschäfte abwickelte. Er besaß die Münzen in seinem Gürtel, noch einmal fünf Minen, etwas über fünfhundert Drachmen. Die Goldmünzen, die Kleonike nicht mehr gebraucht hatte, ließen sich in Korinth hinterlegen oder in Silber umwechseln und würden fast drei Talente ergeben, an die achtzehntausend Drachmen: ein ungeheures Vermögen.
Erörtert werden mußte jedoch, ob Tekhnef ihn begleiten wollte oder sich dabei langweilen würde. Sie war frei; ihr gehörte eigentlich alles, was sie aus Kleonikes Haus geborgen hatte. Aber sie wollte mitkommen, den Norden und andere Weltgegenden sehen, Dymas’ Tage ertragen und seine Nächte teilen. Vielleicht, schlug sie mit einem schrägen Lächeln vor, könnte sie ein wenig üben und ihn später auf dem Aulos begleiten,
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