Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
den Menschen als tugendhaft gelten, um später, irgendwann einmal, aus diesen Listen und Kenntnissen ein allgemeines Gesetz der Tugend ableiten zu können. Was vielleicht gar nicht möglich ist. Diogenes hat einfach nur gesagt, es gebe keine Tugend. Er hat die Reinlichkeit verachtet, was sein Recht ist, wenn es ihm denn gefällt– aber er hat es durch Gestank, den er verbreitete, den anderen ebenfalls aufgezwungen. Er hat die Höflichkeit des Umgangs der Menschen untereinander geschmäht. Er hat das Geld und die Besitzenden verachtet– sein gutes Recht; aber dann hätte er sie nicht anbetteln dürfen. Nein, Diogenes war kein Philosoph; er war ein Narr. Als Alexander ihn fragte, ob er etwas für ihn tun könne, und Diogenes sagte: › Geh mir aus der Sonne‹, da soll Alexander gesagt haben: › Wenn ich nicht Alexander wäre, möchte ich Diogenes sein.‹ Es wurde dies gedeutet als Achtung, geradezu Ehrfurcht des Königs vor dem Denker.«
» Und? Deiner Meinung nach?«
» Es war das genaue Gegenteil. Diogenes war zu minderwertig, um etwa eine Strafe oder derlei zu verdienen. Alexander, der König, der Herrscher, Schüler eines nicht völlig unbedeutenden Philosophen, wollte etwas ganz anderes sagen– wenn ich nicht der Beste wäre, der ich ja bin, möchte ich lieber nicht der Zweitbeste sein, sondern dann gleich der Letzte– der letzte Dreck.«
Peukestas zögerte, dann lachte er. » Soviel zu Diogenes. Du wolltest von Alexanders Fehler reden.«
Aristoteles schloß die Augen. Halblaut sprach er von Philipps klugen Plänen– für den nächsten Brückenkopf in Asien. Er wollte seinen erstgeborenen Sohn, den fast schwachsinnigen Arridaios, mit der Tochter eines Satrapen vermählen. Die Vorgänge seien nur erklärbar, wenn man Dinge voraussetze, die wahrscheinlich, aber unbewiesen seien: Olympias, und Besorgnisse Alexanders. Olympias habe möglicherweise in dem Angebot Philipps an den Satrapen Pixodaros eine Gelegenheit gesehen, den Verlauf der Dinge in ihrem Sinn zu fördern; Alexander habe möglicherweise befürchtet, sein längst nicht ausgebrannter, tatendurstiger Vater werde ihn noch jahrelang im zweiten Glied stehenlassen. » Dabei hatte er ihn deutlich herausgehoben, bevorzugt, mit schwierigen Dingen betraut. Chaironeia war Alexanders Schlacht, der Beitritt Athens zum Bund war Alexanders Werk; er hätte wissen müssen, daß Philipp ihn nicht hinter, sondern neben sich handeln lassen würde.«
Aber vielleicht habe Olympias den Sohn überzeugen können, der Vater wolle ihn abschieben, wolle Arridaios, der eben doch nur fast, aber nicht ganz schwachsinnig war, zum neuen Thronfolger aufbauen. Deshalb schickte Alexander hinter Philipps Rücken einen eigenen Gesandten an Pixodaros, teilte diesem mit, Arridaios sei ein lallender Narr, und für die Tochter des Satrapen komme eigentlich nur Alexander selbst als Gemahl in Frage. Daraufhin weigerte sich Pixodaros natürlich, Arridaios zu erwägen; und Philipp sah einen klugen und hilfreichen Plan durchkreuzt.
» Antipatros hat mir davon erzählt.« Aristoteles lachte leise. » Philipp ist wie ein rasender Stier über Alexander hergefallen; er hat ihn, wie die Makedonen so treffend sagen, unangespitzt in den Boden gerammt. Als ob der König ein derartiges Mißtrauen seines Sohns verdient hätte! Schlimmer noch: als ob der künftige Herrscher Makedoniens gut genug wäre für die Tochter eines Satrapen.«
Und Philipp habe dann die Gelegenheit genutzt, sich endgültig der Königin zu entledigen. Deren ewige Eingriffe und Ränke damit beendet werden sollten. Phila, die erste Frau, hatte ihm keine Kinder geboren; Audata, die Illyrerin, war Mutter einer Tochter, Kynnane, die Philipp mit seinem Neffen Amyntas vermählt hatte, dem Sohn seines Bruders und Vorgängers Perdikkas; Philinna, die Tänzerin aus Larisa, hatte Arridaios geboren; Olympias schließlich Alexander und Kleopatra. Die fünfte Frau, Nikesipolis aus Pherai, wiederum eine Thessalierin, war bei der Geburt der Tochter Thessalonike gestorben, als Alexander eben vier Jahre alt war, oder fünf; zuletzt hatte Philipp zur Besiegelung des Friedens und zur Sicherung der Nordgrenzen Meda zur Frau genommen, die Tochter des Getenkönigs Kothelas, im Jahr vor der Schlacht bei Chaironeia.
» Außer Olympias waren sie alle– nebenher. Nur Olympias war rechtmäßige Gemahlin, Fürstin, Herrscherin. Nun sah Philipp voraus, daß der Persien-Feldzug ihn lange aus Makedonien fernhalten würde, und daß eine Erneuerung und
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