Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Ferner will ich nur zwei Dinge sagen. Erstens: Wer immer König von Makedonien ist, Alexander oder Amyntas, mag kleiner oder dümmer oder harmloser sein als Philipp, aber– er hat Makedoniens Heer, er hat Parmenion, er hat Antipatros. Ihr wißt, daß ich kein Makedonenfreund bin, aber solange Philipps Heer weiterbesteht und von Männern wie Parmenion geleitet wird, ist es für jeden Feind der Makedonen recht unerheblich, wer König ist. Sollte der neue Herrscher sich Parmenions entledigen und Antipatros verbannen, sähe es anders aus, aber das bleibt abzuwarten. Und zweitens: Wir haben einen gültigen Vertrag, wir sind Teil des Bundes von Korinth. Dessen Hegemon Philipp war. Philipp ist tot. Der neue König wird vielleicht versuchen, ebenfalls Hegemon und alleiniger Stratege des Bundes zu werden, aber auch das bleibt abzuwarten. Nur: Wenn wir jetzt, wie Demosthenes es vorschlägt, alle Verbannten heimholen, den Thebanern helfen, die makedonische Besatzung aus der Kadmeia zu vertreiben– vorausgesetzt, es gelänge uns–, die anderen hellenischen Staaten gegen Makedonien aufzuwiegeln und den Bund von Korinth aufzukündigen, ohne zuvor mit allen Beteiligten in Korinth darüber zu beraten– dann, edle Athener, brechen wir einen heiligen Vertrag. Und das sollten wir nicht tun; wir sollten abwarten.«
Er setzte sich. Demades versuchte, die Stimmung einzuschätzen; Hypereides’ Worte hatten sicher Eindruck gemacht, aber entschieden hatten sie nichts. Es war auch nicht der Tag der Entscheidung; damit würde man ohnehin warten, bis sichere Nachrichten aus Pella eintrafen. Die Mehrheit, an diesem Tag, würde sich vermutlich trotz allem auf Demosthenes’ Seite schlagen.
Demosthenes schien es zu ahnen oder zu wissen; er nickte Hypereides lediglich zu, mit einem verkrampften Lächeln. Demades seufzte und stand auf.
» Abgesehen von allem anderen«, sagte er scharf, » ist das, was Demosthenes vorgeschlagen hat, nicht nur Unfug, wie Hypereides sagt, sondern gefährlicher Unfug. Gefährlich für uns– sagen wir: selbstmörderischer Unfug. Dreimal hast du uns in einen Krieg gegen Philipp geredet. Olynth, Byzantion, Chaironeia. Einmal ist nichts dabei herausgekommen, zweimal endete es für uns in einer Katastrophe. Erinnert euch an Chaironeia. Ich finde, das sollte sogar für die Eitelkeit des Demosthenes ausreichen. Du hast mit deiner Zunge mehr Athener getötet als Philipp mit dem Schwert. Laßt uns von anderen Dingen reden. Bevor Demosthenes wieder mit seinem ewigen Wahn anfing, ging es, glaube ich, um die Frage, ob wir mehr Geld und neue Sklaven brauchen für die Reinigung der Straßen und Plätze der Stadt.« Demades musterte Demosthenes mit einem schiefen Grinsen. » Zu viel Scheiße in Athen, heißt es.«
Gelächter. Eine Stimme weit hinten rief: » Demades hat recht. Es stinkt.«
Wieder Gelächter. Demosthenes stand auf, hob die Hände über den Kopf, ließ sie fallen und ging zum Ausgang.
Demades lachte. » Wenn du jetzt hinausgehst, Demosthenes, trägst du nicht zur Lösung des Problems bei. Im Gegenteil; du bringst noch mehr Scheiße auf die Straßen.«
Tage später in Pella erlebten sie einen anderen Alexander. Demaratos mußte bleiben, weil zu viele Dinge, die ihn betrafen, neu zu regeln waren; Aristoteles kam durch Pella, weil Makedoniens Hauptstadt für ihn am Reiseweg nach Stageira lag. Antipatros bat ihn, einige Tage zu verweilen und mit gutem Rat auszuhelfen.
Sie saßen am langen Tisch in den Gemächern des Königs. In Philipps Beratungsraum. Nichts war verändert. Philipps Waffen, soweit sie nicht in der vorläufigen Grabpyramide zu Aigai lagen, hingen an ihren Plätzen an der Wand; Philipps Statuen standen, wo sie immer gestanden hatten. Die Wandbehänge waren die gleichen, ebenso die Stühle, das Schreibzeug, der kopron -Verschlag, der rote Mantel am Haken neben dem Fenster.
Alexander saß am Tisch, vor sich einen unberührten Becher mit Wasser und Wein. Sein Gesicht war düster und angespannt; er starrte auf die Rollen und das Tintengefäß aus Silber mit den getriebenen Bildern einer Hirschjagd. Antipatros ging zwischen Tisch und Fenster hin und her, hin und her; irgendwann blieb er stehen, warf Aristoteles einen hilfesuchenden Blick zu, rang die Hände.
» Das geht nicht so weiter, Junge. Zehn Tage Trauer– zehn verlorene Tage. Ich weiß, du hast ihn geliebt, aber…«
Alexander hob die rechte Schulter. » Ich fühle mich immer noch, als ob ich ihn umgebracht hätte.«
» Das hättest du
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