Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
und sich wieder zusammenraffte, entließ Eubulos die übrigen, die ihn umstanden, mit einer jähen Handbewegung. Ohne Gruß starrte er Demosthenes an, ohne eine Miene zu verziehen, ohne zu blinzeln. Demosthenes wurde weiß, dann hellrot, dann dunkelrot, aber er gab den Blick zurück, ohne die geringste Zuckung. Plötzlich nickte Eubulos, wandte sich zum Gehen und bedeutete Demosthenes mit einem Schnipsen, ihn zu begleiten.
Sie schwiegen, bis sie die Agora verlassen hatten und durch eine kleine, lehmige Straße gingen. Ohne den Kopf zu wenden, sagte Eubulos: » Das war eine gute Rede. Der erste Teil.« Seine Stimme war wie ein schartiges Schwert oder ein absplitternder Rammbock: verhüllte Gefahr.
Demosthenes fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum. » Große Ehre, große Ehre.«
» Für den zweiten Teil, ah, reine Jauche, muß es einen guten Grund geben. Einen Grund, aus dem du alles zurückgenommen hast. Was hast du sonst noch genommen– als Begründung?«
Demosthenes’ Stimme rutschte aus der gewöhnlichen Sprechlage in hohes Quieken. » Dreitausend Dr… Drachmen.«
Eubulos nickte. » Dafür arbeitet ein athenischer Handwerker sieben Jahre oder mehr. Nicht schlecht für eine halbe Rede.«
Demosthenes holte tief Luft, blickte den großen Eubulos von der Seite an und rannte gegen das Heck eines Maultierkarrens. » Ahú… Es… es hatte aber keine große Bedeutung, mußt du wissen. Wenn es… wenn es wichtig gewesen wäre, weißt du, etwas von Wichtigkeit– bedeutsam, gewissermaßen, und die Wohlfahrt unseres großen und ruhmvollen Gemeinwesens berührend…«
Eubulos’ rechter Arm hieb durch die Luft, als ob er mit einem Beil etwas kürzen wollte. » Laß das. Du verdirbst alles. Was bedeutet dir dieses Gemeinwesen Athen?«
Demosthenes leckte sich die Lippen. Im Eingang einer kleinen Schänke stand eine junge, grell geschminkte Dirne; sie verzog das Gesicht, als er sie anstarrte, und ging ins Haus.
» Ah, Athen? Die Leber der Welt. Der Mittelpunkt von Hellas. Der Nabel der Demokratie.«
Zum erstenmal lächelte Eubulos. » Ein kleiner Teil der Bevölkerung, die, die das Bürgerrecht und genug Geld haben, geben ihre Stimme ab, während alle anderen zuschauen– ist das Demokratie?«
Demosthenes zuckte mit den Schultern. » Es ist, wie es ist. Besser so, als wenn ein Mann allein allen anderen Befehle gäbe.«
» Ganz recht. Es sei denn, man selbst wäre dieser Mann.«
Demosthenes hustete. » Das… wäre Tyrannis.«
» Oder Demokratie, in der ein Mann klug genug ist, alle Wechselfälle zu überleben.«
Demosthenes nickte langsam; eine Mischung aus Staunen und Tücke kroch über seine Züge, wie eine Schlange aus Schatten.
» Diese Rede, die du gehalten hast… sehr gut. Wurdest du mit der Gabe geboren?«
Demosthenes seufzte. » O nein. Mein Vater war Waffenschmied und Waffenhändler; er hinterließ mir ein Vermögen, das meine Vormünder veruntreut haben; und er hinterließ mir ein Unvermögen, meine Zunge. Sie ist zu lang, deshalb stolpern die Wörter aus dem Mund. Manchmal sind sie auch gekrochen. Ich mußte sehr lange üben, damit sie gehen oder gar marschieren können.«
Eubulos warf ihm einen Seitenblick zu; mit einem Unterton von Anerkennung sagte er: » Das gefällt mir. Es zeigt, daß du die Kraft hast, einiges zu überwinden. Sogar dich selbst. Und deinen Stolz, wie der zweite Teil der Rede zeigte. Wie zähmst du deine Zunge?«
Demosthenes grinste dümmlich, spuckte drei kleine Kiesel in seine Hand, hielt sie hoch. » Dassch isscht dassch Wistisste, o edler Eubuloss.« Er steckte die Kiesel in einen kleinen Beutel, den er an einer Schnur um den Hals trug; dann nahm er sie wieder heraus und hielt sie in der Hand. Es klick-klick-klickte unaufhörlich, während sie über einen von niedrigen, kränklichen Bäumen bestandenen Platz gingen, dann durch eine breitere Straße zu einem der Tore von Athen. Eubulos nickte einem Wachführer zu. Draußen lag ein kleiner Obst- und Gemüsemarkt; hinter dem letzten Stand wartete ein zweirädriger Wagen mit zwei Pferden. Ein hellhäutiger Sklave verbeugte sich vor Eubulos.
» Ich bin sehr beschäftigt, mit diesem und jenem.« Eubulos musterte das Gesicht von Demosthenes, der weiter fahrig mit den Kieseln klickte. Der Politiker kniff die Augen zusammen, beinahe zornig. » Ich brauche einen guten Mann, der mir bei diesem und jenem hilft. Der jung und stark genug ist, sich selbst und andere zu überwinden.«
Demosthenes deutete eine Verneigung an. »
Weitere Kostenlose Bücher