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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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näherte sich der Milchschale. » Was sollte ich nicht vergessen? Die Leber?«
    » Die Leber. Alexander. Und die Königin. Wenn dein Sohn eines Tages nicht mehr der erste Anwärter sein sollte– wenn ihm etwas zustieße–, wärst du nicht länger Königin. Du mußt auch deine Stellung bedenken. Deinen Einfluß, deine Macht, deine Sicherheit.«
    Olympias stand auf; sie blickte auf den sitzenden Seher hinab. » Es mag sein. Ich werde mich mit den Göttern beraten.«
    Aristandros nickte und erhob sich; er ging zur schweren geschnitzten Holztür, die den Raum vom Gang trennte. » Und berate dich mit den Göttern auch hierüber: Dein Sohn wird entweder sehr früh durch Gewalt sterben, vielleicht, weil jemand nicht ihn, sondern Arridaios zum Thronerben machen will. Oder er wird die Oikumene verändern, die Welt, die Zeit, in wenigen Jahren, ehe er allzu jung zu den Göttern geht. Der größte der Könige, ein Fürst unter den Herrschern, das Staunen der Welt– aber er wird jung sterben, wie sein Vorfahr, dein Vorfahr, Olympias, der göttliche Achilles.«
    » Ich werde es bedenken. Nun geh. Und– ich will den Ägypter nicht sehen.«
    Den Rest des Tages verbrachte sie in tiefem Brüten. Sie ging in ihrem und dem Nebenraum hin und her, auf und ab; sie lag lange Zeit regungslos auf dem Bett und starrte an die Deckenbalken; sie nahm den Wandbehang, breitete ihn vor dem kleinen Altarstein aus fleischfarbenem Marmor aus und kniete, die Augen fest geschlossen, die Arme über der Brust gekreuzt; später streckte sie sich vor dem Altar aus, das Gesicht nach unten, in den dichten Stoff gepreßt. Sie aß nichts.
    Abends, als die Sklavinnen und Ammen Alexander bereitgemacht hatten, entließ sie sie und nahm den Kleinen mit in ihren Raum. Während er herumtapste und die Schlange zu einer Schleife zu drehen versuchte, füllte sie heißes Wasser aus dem Ofenkessel in die Bettwärmer, wickelte Felle um die Bronzebehälter und holte die kleineren Decken aus dem Kindergemach. Dann nahm sie Alexander in die Arme, kniete mit ihm vor dem Altarstein, hielt ihn fest an die Brust gepreßt und wiegte sich vor und zurück; dabei murmelte sie unhörbare Gebete. Sie bettete den Kleinen auf ihr Lager und löschte alle Lichter, bis auf zwei der vier Hängelampen des hohen Bronzeständers auf dem Tisch. Während der Sohn den Daumen lutschte, gluckste und langsam einschlief, beendete sie das Schreiben an Arybbas. Danach nahm sie einen mehr als armlangen Tuchstreifen, schlang einen Knoten in ein Ende, entblößte ihren Oberkörper und kniete vor dem Altar. Langsam, rhythmisch wiegte sie sich vor und zurück; dabei schlug sie sich mit dem Tuchknoten über die Schultern.
    Sie schlief kaum in dieser Nacht. Einmal wachte Alexander weinend auf, weil sie sich an ihn klammerte, so daß er kaum Luft bekam. Am Morgen war ihr Gesicht gerillt; die Kissen waren feucht, und die Nägel hatten tiefe Furchen in beiden Handflächen hinterlassen.
    Am Vormittag ging sie allein– bis auf die stumme Thrakerin, die fünf Schritte hinter ihr blieb– in den Ort. An einem trockenen, kühlen Wintertag war sogar Pella mit seinen stinkenden Gassen, den kleinen ungepflasterten Plätzen und den nahen Sümpfen erträglich. Olympias hatte den Umhang eng um die Schultern gezogen; die Thrakerin trug einen Bastkorb auf dem Kopf.
    Olympias kaufte Kräuter; die meisten waren getrocknet, nur wenige frisch zu bekommen. Das Angebot war in den drei Läden, die sie aufsuchte, gleich reichhaltig oder karg; was sie im zweiten und dritten Laden erwarb, hätte sie auch im ersten kaufen können. Im kleinen Hafen der Stadt befahl sie der Thrakerin zu warten; sie selbst ließ sich von einem Ruderer mit seinem winzigen Kahn ans andere Ende des Kanals bringen, der Pella mit dem eigentlichen Hafen an der Mündung des Ludias verband. Dort gab es zwei oder drei Händler, die auch im Winter, wenn allenfalls noch Küstenboote verkehrten, seltsame Waren aus fernen Gegenden führten. Olympias hatte den Umhang vors Gesicht gezogen; nur Augen und Nasenwurzel waren frei. Sie kaufte zwei kleine, verstöpselte Gefäße aus rauchigem Glas, wie man sie in Ägypten oder Karchedon herstellte. Als sie den Laden verließ, der den vorderen Teil eines langgestreckten flachen Holzhauses am Kai einnahm, bemerkte sie, daß der Ruderer sie beobachtete. Eine Weile blickte sie über seinen Kopf hinweg auf die andere Seite der Flußmündung, wo oberhalb der auf den Strand gezogenen Fischerboote und der ausgespannten Netze eine

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