Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
mußte, als Hermias mir die Möglichkeit gab, ein Staatswesen nach meinen Ideen zu formen, und es war eine Katastrophe. Aber das tut nichts hierher.
Nehmen wir zum Beispiel den unseligen Bundesgenossenkrieg, der nur Philipp und den Persern nützte. In Athen gab es damals wesentlich zwei Gruppen: die heftigen Demokraten und die lauen Aristokraten, wenn du so willst. Die Demokraten besaßen die Mehrheit. Zu ihnen gehörte Zaleukos, von dem schon die Rede war; ihr wichtigster Politiker war damals Aristophon, ihr Stratege Chares. Aischines, der später die Seiten wechselte, war in seiner Jugend ein Anhänger Aristophons. Also, die Demokraten wollten die Not der eigenen Bevölkerung lindern, wie sie sagten, und deshalb die Not anderer mehren. Unsere Bundesgenossen Chios, Rhodos, Kos, Byzantion und deren jeweilige Verbündete lehnten sich gegen die Bevormundung durch Athen auf. Denn Athen wollte tributzahlende Befehlsempfänger, nicht Bundesgenossen. Maussollos, Satrap von Karien, half ihnen– damit war Persien mittelbar beteiligt; für große Eingriffe war aber damals die Stellung des Großkönigs zu schwach. Artaxerxes Ochos beschäftigte sich damit, den eigenen Thron zu sichern und aufrührerische Satrapen zu bekämpfen.
Die Demokraten Athens setzten durch, daß es zum Krieg kam. Der alte Isokrates schrieb eine flammende Friedensrede; darin hieß es, Chares und Aristophon selbst gäben ja zu, daß ihre Politik ungerecht sei, hielten sie aber für nützlich, weil die Eroberung und Unterwerfung neuer Gebiete notwendig sei für die Erneuerung des wirtschaftlichen und politischen Wohlergehens von Athen. Also Beherrschung statt Bündnis. Die Aristokraten waren für den Frieden, jedenfalls teilweise, nicht deshalb, weil es ihnen um Gerechtigkeit ging, sondern weil sie vorhersahen, daß der Krieg mehr kosten würde, als er im besten Fall einbringen konnte. Isokrates war für den vollkommenen Frieden, die allgemeine Freundschaft unter den hellenischen Staaten, ein Zusammenwirken bei Wahrung der inneren Autonomie aller.«
Peukestas lachte halblaut. » Die Rede hat er doch später noch mehrmals halten lassen; zugunsten von Philipp, nicht wahr?«
» Ah, so nicht, nein. Zugunsten von Hellas. Dreißig Jahre vor diesem Bundesgenossenkrieg hatte es eine derartige Friedensregelung gegeben, bei Verhandlungen in Sparta. Aber diese koine eirene, ein hehres Ziel, war nur auf persischen Druck zustande gekommen. Der nächste allgemeine Friede gedieh dann unter Philipp, erzwungen durch den Sieg der Makedonen. Und die hochherzige Rede des alten Isokrates beruhte auf Überzeugungen, Wünschen, Gedanken– nicht auf der Erwägung von Nützlichkeiten; außerdem sagten Zaleukos und andere sofort, das sei eine Wiederholung des vom Großkönig angeordneten Zwangsfriedens. So kam es zum Krieg. In der Schlacht bei Embata wurde der demokratische Stratege Athens, Chares, von den früheren Bundesgenossen mit Hilfe des Maussollos geschlagen; das war der erste Dämpfer. Dann gelang es Demosthenes, Zaleukos auszuschalten. Anschließend konnte Eubulos einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in Gang bringen. Und in dieser ganzen Zeit«– Aristoteles richtete sich auf und schlug eine Art Rhythmus mit der Hand– » befanden sich Makedonien und Athen im Kriegszustand, wegen Amphipolis und Methone und anderen Dingen oben im Norden. Aber es war ein Krieg der Worte, in dem Athen nichts unternahm. Erst als der Bundesgenossenkrieg beendet war, wurde Chares mit Truppen nach Thrakien geschickt, um dafür zu sorgen, daß bei dem Streit dreier Anwärter auf den Thron derjenige siegte, der Athen genehm war– nicht Philipps Schützling.«
Peukestas seufzte. » Wer soll dieses Knäuel entwirren?«
» Philipp hat es entwirrt, mit dem Schwert. Später. Der Bundesgenossenkrieg, der Heilige Krieg, der ungeführte Krieg gegen Makedonien– Athen, Sparta, Megalopolis, Theben, Korinth, die Phoker, die Achaier, alle waren unausgesetzt in etliche Kriege verwickelt. Ich hörte athenische Denker sagen, der böse Philipp habe ein friedfertiges, harmloses, liebenswertes Hellas überfallen und vergewaltigt. Nichts davon. Hellas war immer ein Vipernnest. Was Demosthenes später in seinen Brandreden gegen Philipp zu sagen hat, ist nicht, daß Makedonien die Freiheit der Hellenen bedroht, sondern daß Makedonien das tut, was eigentlich Athen zustünde. Die Freiheit, die Philipp bedrohte, war Athens Freiheit, Makedonien und andere zu bevormunden.«
Peukestas schwieg; er
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