Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
erfahren, von denen ich nichts wußte.«
» Zutreffende Einzelheiten?«
» Ja. Ich habe das dann sofort prüfen lassen; alles stimmt. Aber das Netz erstreckt sich inzwischen über dein halbes Reich und weiter, Philipp. Nicht nur nach Epeiros. Und nicht nur aus Sorge um ihren Bruder. Sie hat versucht, über Admetos und andere Zugang zu den Führern deines Heers zu bekommen.«
Philipp grunzte.
» Ich habe ihr einen Köder zugeworfen. Einen jungen Unterführer der Hetairenreiter, der nicht weiß, daß ich weiß.«
» Wer ist es?«
» Ein Oreste, Eurymachos.«
Philipp grinste. » Eurymachos? Einer der Freier der Penelope? Sehr passend. Weiter.«
» Die Krankheit, an der Arridaios leidet… Dein erster Sohn.«
Philipp tippte sich an die Schläfe. » Armes Kerlchen. Willst du sagen…«
» Will ich sagen, ja. Wenn du Wert darauf legst, kann ich dir die Namen der einzelnen Händler nennen, bei denen sie Kräuter und Gifte gekauft hat. In Pella und im Hafen.«
Philipp starrte in den Becher, trank, rülpste. » Die Ähnlichkeit zwischen ihr und meiner Mutter ist überwältigend. Was für eine Hexe.« Er lachte plötzlich. » Und– was für ein Weib! Noch mehr?«
» Aristandros hat ihr sein Hügelhaus geöffnet.«
Philipp runzelte die Stirn. » Hügelhaus? Der Schuppen im Wald, über der Höhle, wo sie diese Orgien feiern, rohes Fleisch fressen, sich berauschen, all das?«
» All das, ja.«
Philipp hüstelte in seinen Becher. » Das bedeutet also…«
» Genau das bedeutet es. In diesem Augenblick bedeutet es genau das.«
» Es ist gut. War das alles?«
» Das, was wichtig ist.« Antipatros musterte ihn, beinahe erstaunt. » Du nimmst das so ruhig hin.«
Philipp grinste verzerrt. » Mein Freund, Hüter meines Rückens, Wahrer des Friedens– ich dachte, es wäre schlimm.«
Antipatros kratzte sich den kahlen Schädel. » Ist es das nicht? Was erwartest du denn noch?«
Philipp schnaubte. » Bei deinen Anfangseröffnungen, von wegen, was alles hinter meinem Rücken geschieht und daß Olympias das Reich gefährdet… Ich dachte, es wäre wirklich ernst. Zuzutrauen ist es ihr ja.«
Antipatros schüttelte langsam den Kopf. » Ich begreife dich nicht. Olympias, deine Frau, die Königin, unterhält Spitzel gegen dich und das Königreich, vergiftet deinen Erstgeborenen, nimmt an Dionysos-Orgien teil, berauscht sich, läßt sich maskiert von maskierten Männern besteigen– und du sagst, es ist nicht ernst?«
Philipp breitete die Arme aus und ließ sie wieder sinken. » Es gefällt mir nicht. Aber es ist nicht ernst. Sie tut genau das, was ich erwartet habe. Laß sie an der langen Leine. Wenn sie aufhört zu bellen, wissen wir, daß die wirkliche Bedrohung beginnt.« Er reckte die Arme. » Ah, Götter, was für ein Weib! Ich wollte, sie wäre jetzt hier!«
» Was würdest du mit ihr machen?«
Philipp schloß die Augen. » Mich mit ihr auf dem Lager wälzen, was denn sonst?«
Etwas war anders. Etwas stimmte nicht. Die maskierten Gesichter, die nackten Leiber, die durcheinanderwogenden Tänzerinnen und Tänzer, die mit Weinlaub bekränzten Köpfe und Masken und Glieder, das schrille Kreischen, das Keuchen, die dumpf dröhnenden Worte des Sängers, alles war wie sonst, aber etwas war anders, sie wußte nicht, was. Sie kniete zwischen den Beinen eines Mannes, massierte seinen Phallos, knetete ihn, atmete schwer durch den schmalen Mundschlitz der Maske. Harte Hände berührten ihren nackten Rücken, ihr Gesäß, drängten sich zwischen ihre Schenkel; sie spreizte die Beine und ächzte, als der Mann von hinten in sie eindrang. Die Puppe– oder war es ein echtes Kind?– wurde von Männern mit weißen Masken und weißgeschminkten Oberkörpern hochgeworfen, hin- und hergereicht; ein Kreis bekränzter Frauen wirbelte um die Gruppe; jemand schrie den Namen des Gottes, dann wurde der kleine Dionysos in Stücke gerissen. Blut spritzte, oder war es Saft? Olympias ließ ihr Becken kreiseln; der Mann hinter ihr stöhnte und stieß immer wieder tief in sie hinein. Etwas war falsch– nein, nicht falsch, vielleicht war es so sogar ganz besonders richtig, genau, geziemend, aber es war anders.
Im Rausch entstand der Mythos wieder neu, überlagert von etwas, das anders war, das nicht dazugehörte. Sie sah die zerrissene Puppe, das zerfetzte Kind Dionysos, aber sie sah auch die Weltenschlange, die zerstückelt wurde; Dionysos war Tammuz und Osiris und viele andere. Rhea sammelte die Teile und fügte sie zusammen– eine alte
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