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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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nicht greifbar, und irgendjemand musste doch schuld sein an ihrem Elend.
    Sie nahm die teuer aussehende Handtasche auf die andere Schulter und wechselte das Standbein. Das Make-up war dezent, das Parfüm bemerkenswert unauffällig. Sergej, der kein Deutsch zu sprechen schien, stopfte die Hände in die Taschen seiner Jeans und schob den Kaugummi in die andere Backe.
    »Sie tun nichts, um Gundram zu finden«, stieß sie heiser hervor. »Sie verbreiten nur Lügen über uns. Wir hätten unser Kind geschlagen oder sogar umgebracht. Wir hätten ihn hinausgeworfen oder so lange gequält, bis er davongelaufen ist. Nichts als Gemeinheiten, Ungeheuerlichkeiten, Frechheiten. Warum hassen Sie uns so?«
    »Niemand hasst Sie«, seufzte ich. »Bitte glauben Sie mir: Wir tun alles Menschenmögliche, um Ihren Sohn zu finden. Wir sind jeder Spur nachgegangen. Wir haben wirklich alles versucht. Im Augenblick bleibt uns leider nur noch zu warten, bis sich neue Hinweise ergeben. Ich weiß, wie schwer es Ihnen fällt, das auszuhalten.«
    »Nichts wissen Sie. In Wirklichkeit denken Sie, Gundram ist längst tot. Und deshalb legen Sie die Hände in den Schoß. Weil es sich nicht mehr lohnt, denken Sie.«
    »Frau Sander, bitte. Ich bin der Letzte, der so etwas denken würde. Für mich wird Ihr Sohn leben, solange ich keinen Beweis für das Gegenteil habe.«
    »Dafür brauche ich keinen Beweis. Ich weiß, dass er lebt, denn ich bin seine Mutter. Mir ist klar, dass Sie von mir als Mutter nicht viel halten. Ich bin keine von diesen Glucken, die ständig an ihren Kindern herumtatschen. Ich liebe mein Kind auf meine Weise. Und es ist nicht wahr, dass ich ihn an dem Tag hinausgeworfen habe. Er wollte selbst auf die Straße. Ein bisschen mit dem neuen Rad herumfahren, das ist doch völlig normal. Es stimmt nicht, ich habe ihn nicht vor die Tür gesetzt.«
    »Niemand hat etwas Derartiges behauptet, Frau Sander. Und selbstverständlich können Sie Besuch empfangen, so oft und von wem Sie wollen.«
    »Sergej ist noch nicht lange in Deutschland.«
    Und fährt schon einen italienischen Sportwagen, dachte ich.
    »Er besucht mich hin und wieder, weil er sonst niemanden zum Reden hat.«
    Und zu diesem Zweck muss das Kind aus dem Haus.
    »Mike passt das nicht, aber das tut nichts zur Sache.«
    Wer weiß, vielleicht doch.
    Laut sagte ich: »Natürlich. Sie haben vollkommen recht.«
    Hoch aufgerichtet stand sie vor mir, jetzt mit beiden Beinen fest am Boden. Eine Hand in die Hüfte gestützt, die andere am Riemen der Handtasche. Ihr Blick war fest und kalt. Plötzlich bemerkte ich das leise Flackern darin, die mühsam unterdrückte Angst, den rasenden Schmerz einer Mutter, die um das Leben ihres Kindes fürchtet.
    Sergej sah sich die Wände an.
    »Wenn Gundram stirbt«, sagte Natascha Sander leise und jetzt nur noch mühsam beherrscht, »dann werde ich Sie persönlich dafür verantwortlich machen. Wenn meine Familie zugrunde geht, dann wird auch Ihre zugrunde gehen. Um Ihnen das zu sagen, bin ich hier.«
    Augenblicke später waren die beiden ungleichen Geschwister verschwunden. Grußlos. Ohne ein Nicken. Wie auf Kommando hatten sie sich umgewandt und waren gegangen.
    Erst nach Sekunden bemerkte ich, dass meine Hände sich ineinander verkrampft hatten. Vorsichtig löste ich sie. Was war das eben gewesen? Eine leere Drohung aus Verzweiflung? Oder pflegte Natascha Sander, vielleicht über ihren merkwürdigen Bruder, Kontakte zu kriminellen Kreisen in ihrer alten Heimat? Drohte mir demnächst Besuch von der russischen Mafia?
     
    Nach dem Essen erstattete Balke mir einen ersten Bericht. Die Dienstpläne des sechsten August, des Tages, an dem Pretorius’ angeblicher Zeuge seine Aussage bei uns abgeliefert haben wollte, waren inzwischen ausgewertet. Balke brachte eine Liste aller Kollegen und Kolleginnen mit, die damals im Haus gewesen waren. Die wollte er nun abarbeiten, was einige Zeit dauern würde, denn nicht jeder war gleich erreichbar. Aber die Aufgabe schien überschaubar.
    Was die Suche nach dem geheimnisvollen Zeugen betraf, hatten andere mehr Glück als ich: Am Nachmittag sendete Phönix ein ausführliches Interview mit dem Mann. Eine Kollegin in der Pressestelle hatte es aufgezeichnet und mir die Datei per E-Mail zugeschickt, sodass ich sie mir auf dem Laptop ansehen konnte. Mit elektronisch verzerrter Stimme und unkenntlich gemachtem Gesicht wiederholte der Zeuge Punkt für Punkt, was heute Morgen schon in der Zeitung gestanden hatte. Allerdings war

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