Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
schon hin und wieder verrückt.«
Bei der Vorstellung, wie mein gutmütiger Bär von Chef sich turtelnd mit seiner Frau in einem Auto am Seeufer vergnügte, musste ich lachen.
»Schön, wenn verheiratete Paare sich noch so lieben.« Ich nahm die Hand kurz von meiner Geliebten, um den Gang zu wechseln, weil ein Traktor den Verkehr behinderte.
»Wer hat gesagt, dass ich mit meinem Mann dort war?«
»Sie sind heute wieder mal unmöglich, Gnädigste.«
Sie dirigierte mich an Wiesloch vorbei, und irgendwann ging es rechts ab auf eine holprige Nebenstraße. Inzwischen war es dunkel geworden. Wir kamen durch Felder, unter der Autobahn hindurch, eine schwarze Wand kam in Sicht, die sich rasch als Wald entpuppte. Irgendwann tauchte am Rand des immer schlechter werdenden Sträßchens eine offen stehende Schranke im tanzenden Scheinwerferlicht auf, die nicht so aussah, als wäre sie in den letzten Jahren bewegt worden. Das Sträßchen wurde zum Waldweg, der nach weiteren hundert Metern rechts abknickte, und dann standen wir plötzlich mit den Vorderrädern fast im Wasser.
»Du bist hoffentlich sicher, dass hier um diese Zeit niemand mehr ist? Ich will nicht in so einer Situation gesehen werden.«
Ich schaltete Motor und Licht aus. Das Radio ließ ich an.
»Höchstens solche wie wir, die auch nicht gesehen werden wollen.«
Theresa öffnete meinen Gürtel und versuchte, mir die Hose hinunterzuschieben.
Der eben aufgehende Mond spiegelte sich im glatten, völlig ruhig daliegenden See und spendete ein wenig Licht. Trauerweiden verneigten sich vor uns, Vögel zwitscherten leise im Traum. Der Motor tickte beim Abkühlen, der Verkehr auf der nahen Autobahn rauschte gemütlich.
Theresas Hände waren jetzt überall, mein Sitz ratschte so weit es ging nach hinten, nur das verflixte Rad für die Rückenlehne klemmte irgendwie, weshalb sie in halb gekippter Stellung hängen blieb.
Nur kurz tauchte ein Bild vor meinen Augen auf: die erste Seite der Rhein-Neckar-Zeitung mit einem riesigen Foto, das zwei restlos durchgeknallte Mittvierziger in absolut unangemessener Situation zeigte. Kriminalrat Alexander Gerlach – das Gelächter der Kurpfalz.
Aber wen interessierte das heute. Leben heißt Handeln, auch das war von Camus.
»Wie schön, dass es im Spätherbst keine Mücken gibt«, sagte ich und half Theresa aus ihren Sachen. Sie fieberte schon vor Vorfreude und erschauerte, wenn ich nur ihre Schulter berührte. Einmal meinte ich mit halb geschlossenen Augen am gegenüberliegenden Ufer Licht zu sehen. Vielleicht ein zweites heimatloses oder frischluftverliebtes Paar? Theresa war inzwischen über mir. Irgendwo, unendlich weit weg, flammten Scheinwerfer auf, ein Auto fuhr lautlos davon, im Radio sang Neil Young eine herzerwärmende Schnulze aus jener fernen Zeit, als ich noch jünger, schlanker und wesentlich gelenkiger war.
Theresa hatte sich am Rückspiegel den Kopf und am Schalthebel das Knie gestoßen, was jedoch ihre Laune kein bisschen trübte. Zudem hatte sie – wie wir erst später feststellten – auch an einigen anderen, unerklärlichen Stellen blaue Flecken. Mein linkes Bein lähmte ein schmerzhafter Krampf, und auch mit dem Rücken war irgendetwas nicht mehr ganz in Ordnung. Ansonsten schienen wir unser Abenteuer jedoch unversehrt überstanden zu haben.
Im Radio sang jetzt Mick Jagger »I can’t get no satisfaction«, was heute allein sein Problem war.
Das Anziehen im Wagen war entschieden komplizierter, als es das Ausziehen gewesen war. Trotz unserer Blessuren lachten wir viel dabei. Auch das anschließende Wenden war nicht ganz einfach. Der Boden war weich, und dass der Peugeot Frontantrieb hatte, erwies sich jetzt als ungünstig, weil die Vorderräder im Matsch versanken. Aber irgendwie schaffte ich es am Ende doch, nicht im See zu landen.
Theresa hing entspannt im Beifahrersitz und sang voller Inbrunst und grässlich falsch »The Ballad of Lucy Jordan« mit. Offenbar hatte ich vorhin einen Oldie-Sender erwischt.
Endlich waren wir wieder auf dem holprigen Feldweg. Schon tauchte die Schranke im Scheinwerferlicht auf. Sie war geschlossen. Und ich brauchte nicht auszusteigen, um zu sehen: Ein riesiges, offenbar neues und auf den ersten Blick sehr haltbares Vorhängeschloss glänzte dort, wo das Ende des früher einmal rot-weiß lackierten Balkens auf der Stütze auflag.
»Das ist ja dumm«, meinte Theresa wohlgelaunt, »aber für einen Mann deines Formats ja wohl kein ernst zu nehmendes Hindernis.«
Nahezu
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