Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
beiden sich erhoben.
»Nicht weiter schlimm.« Ich winkte mit der unverletzten Rechten ab. »Muss heute Nacht irgendwie falsch gelegen haben.«
»Oh, ich kenne das«, erklärte Vangelis gut gelaunt. »Als ich das letzte Mal solche höllischen Rückenschmerzen hatte, das war nach meinem Verkehrsunfall.«
Bei diesem Unfall hatte sie einen gewissen Agostos kennengelernt, in den sie sich kurz darauf verliebte. Das war merkwürdigerweise bis heute fast alles, was ich über ihre persönlichen Lebensumstände wusste. Vangelis trennte strikt zwischen Dienst und Privatsphäre. Allerdings kam sie mir in letzter Zeit fröhlicher vor als früher. Hin und wieder lachte sie sogar. Das war früher so gut wie nie vorgekommen.
Balkes Laune schien sich dagegen mit jedem Tag zu verschlechtern. Er winkte nur stumm zum Abschied, da er wegen einer heftigen Gähnattacke den Mund nicht zubekam.
Sie sei maßlos glücklich, schrieb Theresa in ihrer Morgen-SMS und drang auf baldige Wiederholung unseres Abenteuers. Ich schrieb zurück, ich hätte nicht vor, mir meine Gesundheit vollends zu ruinieren, woraufhin sie mich postwendend zum Weinen humorlos und zum Gähnen unromantisch nannte.
Wann hatte ich eigentlich meine Tetanusimpfung zum letzten Mal aufgefrischt? Meine linke Hand schmerzte teuflisch. Gestern Abend hatte ich die hässliche Wunde gründlich desinfiziert und heute Morgen den Verband erneuert, sodass er jetzt wenigstens halbwegs ordentlich aussah.
Im Vorzimmer knallte die Tür auf, schnelle Schritte, und im nächsten Augenblick stand Balke vor mir, atemlos und mit dem fiebrigen Blick eines Jägers, der das lange verfolgte Wild endlich vor sich sieht.
»Wir haben ihn!«
»Wen?«
»Den Jungen. Lebend.«
Ich sprang auf. »Wie und wo?«
Aber Balke hörte mich schon nicht mehr.
»Wo fahren wir eigentlich hin?«, fragte ich, als wir eine halbe Minute später in einem Streifenwagen saßen und mit winselnden Reifen vom Parkplatz fegten.
Dem jungen Kollegen am Steuer schien die Sache mächtig Spaß zu machen. Mir wurde schon an der zweiten Ecke übel.
»Neckarbischofsheim«, erfuhr ich nun endlich. »Jemand will Gundram dort mehrfach bei seinen Nachbarn gesehen haben.«
»Es ist ein ziemliches Stück von Bad Schönborn bis dahin!«
Wir umrundeten bei roten Ampeln den Römerkreis. Das Martinshorn scheuchte den Verkehr aus dem Weg.
»Und warum rasen wir so?«
»Das weiß ich auch nicht«, erwiderte Balke von hinten.
Ich wies unseren übereifrigen Chauffeur an, das Martinshorn auszuschalten und wie ein normaler Mensch zu fahren.
Dreißig Minuten später kletterte ich leicht benommen aus dem Wagen. Vor uns parkten schon zwei andere Einsatzfahrzeuge aus unserem Fuhrpark in einer schmalen Straße, die vom nördlichen Rand Neckarbischofsheims in die Felder führte. Vor uns lagen einige verstreute kleinere und größere Häuser. Quer über die abgeernteten Felder schwang sich eine mächtige Hochspannungsleitung. Meine Rückenschmerzen waren durch das Gerüttel auf den Straßen des südlichen Odenwalds nicht besser geworden.
Der Nachbar, von dem die Meldung stammte, war der Überzeugung, arabische Terroristen hielten Gundram Sander gefangen, hatte ich unterwegs von Balke erfahren. Wir gingen auf das nächststehende, ockergelb gestrichene Haus zu, wo schon einige uniformierte Kollegen ein wenig verloren herumstanden.
»Da drin haust eine libanesische Großfamilie«, erklärte mir ein schnauzbärtiger, vielleicht fünfzigjähriger Uniformierter, der offenbar das Kommando führte. »Es hat schon mehrfach Gerüchte gegeben. Schon möglich, dass die Dreck am Stecken haben.«
Zwei Düsenjäger flogen in geringer Höhe über uns hinweg und machten ein Gespräch für kurze Zeit unmöglich.
»Und der Nachbar, der Gundram gesehen haben will?«, fragte ich dann.
Der Kollege deutete achtlos auf ein etwas entfernt unter Bäumen liegendes Gebäude. »Da hinten. Kommen Sie, wir haben bloß noch auf Sie gewartet.«
Ich folgte dem breiten Mann über einen frisch gefegten Plattenweg. Kinderspielzeug lag herum. Ich entdeckte ein rostiges Dreirad, eine arg derangierte Puppe mit nur einem Bein und einen großen Lastwagen aus Kunststoff mit gebrochener Achse.
»Polizei! Aufmachen!«
Er bollerte gegen die schwächliche Tür des Häuschens mit Walmdach und wurmstichigen Klappläden. »Wenn ihr nicht sofort aufmacht, dann …«
»Lassen Sie das.« Ich schob ihn zur Seite und drückte den Klingelknopf.
»Sind wir eigentlich sicher, dass da
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