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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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besuchen darf«, fügte die Frau leise und mit gesenktem Blick hinzu.
    Mich auf den Boden zu setzen, war keine gute Idee gewesen. Als ich nach zwei weiteren Tassen Tee versuchte aufzustehen, schoss mir ein Schmerz ins Kreuz, dass ich um ein Haar aufgeschrien hätte. Die halbe Familie Kerbaj hatte zu zerren, zu stemmen und zu schieben, um mich wieder auf die Beine zu bringen.
    »Was mit Hand?«, fragte der Vater besorgt, als wir uns verabschiedeten. »Haben Unfall?«
     
    Während der Rückfahrt hing jeder seinen Gedanken nach. Der Schmerz im Rücken hatte ein wenig nachgelassen, dafür spürte ich in der Hand jetzt ein ziehendes Pochen, das nichts Gutes versprach. Noch immer schien die Sonne, heute jedoch nicht mehr mit der Kraft der letzten Tage und Wochen. Der Himmel war mit weißen Schlieren überzogen, und es war kühl geworden. Die bunten Blätter, die immer wieder über die Straße wirbelten, vermischten sich mit alten Zeitungen und Staub. Der Oktober ging mit dem heutigen Tag zu Ende. Bald würde uns der Herbst seine unangenehmen Seiten zeigen.
    »Morgen haben wir November«, sagte Balke unvermittelt, als hätte er meine trüben Gedanken erraten. »Dann ist Schluss mit lustig.«
    Wieder einmal spukte das Wort »Serientäter« durch meinen Kopf. Der Verdacht auf Entführung hatte sich bei Tim Jörgensen zu meiner Erleichterung ja bisher nicht bestätigt. Dennoch konnte es jeden Tag ein anderes Kind treffen. Noch lief der Täter frei herum. Merkwürdigerweise schien die Presse bisher nicht auf denselben Gedanken gekommen zu sein. Überhaupt war es an dieser Front erfreulich ruhig geworden. Die Öffentlichkeit verfügt offenbar nicht über so etwas wie ein Langzeitgedächtnis.
    »Was denken Sie?«, fragte Balke, als unser Fahrer am Walldorfer Kreuz nach Norden abbog. »Ist der Junge noch am Leben?«
    »Etwas anderes kann ich nicht denken«, erwiderte ich müde. »Solange ich seine Leiche nicht mit eigenen Augen gesehen habe, lebt er für mich.«
    »Was mir vorhin durch den Kopf gegangen ist, während Sie mit den Libanesen Tee getrunken haben: Gundram ist an einem Sonntag entführt worden. Die erste Belohnung hat die Staatsanwaltschaft aber erst am Dienstag oder Mittwoch ausgeschrieben. Fünftausend Euro.«
    Ich verstand sofort, was er meinte. »Das heißt, unser unbekannter Zeuge hat – falls er wirklich nur auf die Belohnung aus war – gar nicht am Montag angerufen?«
    »Wie ich den Burschen einschätze, rührt der ohne Aussicht auf ein bisschen Kohle keinen Finger.«
    »Sie wissen, was das bedeutet?«
    »Da hast du mal eine gute Idee, und schon wirst du bestraft«, stöhnte er. »Damit ist ja wohl Essig mit meinem freien Tag morgen.«
    »Wie weit sind Sie mit der Telefonnummer des Kerls? Das sollte doch eigentlich kein großes Problem sein. Ich habe Ihnen die genaue Uhrzeit genannt, und wenn wir wissen, welche Nummer Pretorius gestern gewählt hat, dann können Sie sich den Rest vielleicht sparen.«
    Balke stöhnte ein zweites Mal. »Die Staatsanwaltschaft hat einen Riesenterz gemacht wegen der Genehmigung. Erst das Argument, dass es um das Leben des Jungen geht, hat gezogen. Die Anfrage wegen der Anruflisten ist seit heute Morgen raus. Mit ein bisschen Glück kann ich Ihnen im Lauf des Nachmittags den Namen des Typen liefern.«

11
    Der Mann, der mich in meinem Vorzimmer erwartete, war groß und vierschrötig. Seine derbe Kleidung und sein wettergegerbtes Gesicht ließen mich vermuten, dass er häufig im Freien zu tun hatte. Mein unerwarteter Besucher hatte ein Pferdegesicht, riesige Hände und war sehr, sehr schlechter Laune. Sowie er mich erblickte, sprang er auf, als wollte er sich auf mich stürzen.
    »Ich will Anzeige erstatten!«, bellte er.
    Sönnchen sah mich flehend an und hob hilflos die Hände.
    »Und glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich einfach wieder fortschicken können! So langsam hab ich nämlich die Schnauze voll! Wo leben wir hier denn hier eigentlich? Ist das noch ein Rechtsstaat, oder ist es keiner?«
    »Gehen wir in mein Büro«, schlug ich vor, während ich den Mantel auszog und Sönnchen ein beruhigendes Lächeln schenkte. Grummelnd folgte er mir.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte ich freundlich, als wir saßen. Es hat erfahrungsgemäß keinen Sinn, mit wütender Kundschaft eine Diskussion über Amtswege zu beginnen.
    Er hob die linke Hand und zählte an seinen dicken und von Pigmentflecken übersäten Fingern ab: »Einbruch! Sachbeschädigung! Hausfriedensbruch!

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