Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Hausbesitzerin. Genauer die Tatsache, dass sie direkt unter dem Objekt meiner Begierde wohnte, im Erdgeschoss. Zudem wurde mir bald klar, dass sie noch viel frommer war, als sie aussah. Sie hatte eine entschiedene Vorliebe für alleinstehende und gern schon ein wenig ältere Herren als Mieter, und Damenbesuche waren auch vor zehn Uhr abends nicht gern gesehen. Da Theresa zu lautstarken Orgasmen neigte, verabschiedete ich mich zur sichtlichen Enttäuschung der knochigen Frau im grauen Kostüm mit der Ausrede, ich würde es mir überlegen.
Die nächste Wohnung lag praktischerweise nur zwei Gassen weiter in Richtung Innenstadt. Karpfengasse, drittes Obergeschoss diesmal. Inzwischen hatten sowohl Wind als auch Regen zugenommen. Der Vermieter, ein beleibter Herr in den Vierzigern, der sogar im Freien noch nach Alkohol und Knoblauch duftete, erwartete mich vor der Haustür. Ich sei schon der dritte Wohnungssuchende heute, erfuhr ich als Erstes, das Interesse sei erfreulich groß. Zu meiner Erleichterung wohnte er nicht im Haus, sondern weit weg irgendwo in der Nähe von Hockenheim. Sein nagelneuer BMW parkte vor dem Haus im absoluten Halteverbot.
Auf dem Weg nach oben erklärte er mir großspurig, es sei ihm aus tiefstem Herzen egal, was in seinem Haus geschehe, solange die Kasse stimme und weder Polizei noch Feuerwehr gerufen werden müssten. Natürlich müsse man renovieren, erfuhr ich vom mit jedem Stockwerk lauter schnaufenden Hausbesitzer, aber wo müsse man das nicht.
Eine schmale junge Frau mit asiatischen Gesichtszügen trat aus einer der beiden Wohnungen im zweiten Stock, grüßte den Vermieter mit verlegenem Lächeln, zwängte sich an uns vorbei und ließ einen zarten Duft nach Kamille stehen. Aus der Wohnung hörte ich wohlbekannte Musik. »Echo of a night« schien sich zum Hit der Saison zu entwickeln. Nothing to fear and nothing to fight.
»Mit einem bisschen Liebe und ein paar Eimern Farbe machen Sie ein Schmuckstück draus. Vor Ihnen hat eine Vierer-WG da drin gewohnt. Zwei Männer und zwei Frauen!« Er grinste anzüglich und wischte sich mit einem großen weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Als wir endlich das oberste Stockwerk erreichten, ging sein Atem keuchend. Es dauerte, bis er den richtigen Schlüssel an seinem riesigen Bund gefunden hatte.
»Möcht ja nicht wissen, was da so abgegangen ist«, fuhr er fort, als er wieder Luft bekam, und schloss auf. »Freie Liebe, Sie wissen schon. Aber jetzt haben die praktisch alle gleichzeitig Examen gemacht, und da hab ich gedacht, könnt ich mal bisschen was Ruhigeres reinnehmen. Nicht dass es mich persönlich stören würde, man ist ja tolerant, aber die Leute darunter, die haben sich halt ein paar Mal beschwert. Sie machen ja bestimmt nicht viel Krach, so wie ich Sie einschätze und …«
Ein Handy unterbrach seinen Redeschwall. Im Zuge des kurzen Telefonats erfuhr ich, dass nach mir im Abstand von jeweils zehn Minuten noch fünf weitere Interessenten anrücken würden.
»Überhaupt nicht«, erklärte ich selbstbewusst. »Ich höre zwar manchmal Musik, aber eigentlich nur über Kopfhörer.«
Die Tür bewegte sich ruckelnd. Das obere Scharnier schien defekt zu sein, und der tolerante Hausbesitzer musste einige Kraft aufwenden, um sie so weit zu öffnen, dass wir uns hineinzwängen konnten.
Wieder das Handy. Interessent Nummer sechs erhielt seinen Besichtigungstermin. Aus der dunklen Wohnung roch es … seltsam.
»Solange Sie hier keinen Puff aufmachen«, meinte mein Führer achselzuckend. »Ich vermiete sogar an Ausländer. Türken, Araber, Neger, was Sie wollen. Bloß einen Puff, den möcht ich hier nicht haben. Bringt bloß Stress mit der Polizei.«
Das klang nach einschlägigen Erfahrungen.
Die leicht renovierungsbedürftige Wohnung erwies sich als akuter Sanierungsfall. In einem der Zimmer schien es kürzlich gebrannt zu haben, über der Küche regnete es durchs Dach. Schwarzer Schwamm wuchs die Wände herab. Überall lagen Müll und Reste des Mobiliars der Vormieter herum. Bad und Toilette waren Feuchtbiotope von einer Artenvielfalt, bei deren Anblick mancher Biologe vor Entzücken geweint hätte.
»Lassen Sie sich nicht täuschen vom ersten Eindruck«, meinte der Vermieter optimistisch. Wieder sein Handy. Interessent Nummer sieben. »Man kann ja heutzutage so viel selber machen, wenn man geschickt ist.«
Die Wohnung maß knapp siebzig Quadratmeter, und es war in der Tat eine spannende Frage, wie vier Personen gemischten
Weitere Kostenlose Bücher