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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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Schuldbewusst sah sie in ihren Schoß. »Frau Weberlein ist da ein wenig … eigen.«
    »Und später?« Vangelis schien heute mit einer Engelsgeduld gesegnet zu sein.
    »Als ich um halb vier noch einmal nach Tim sah, war Chantal weg. Die Mutter wird sie ins Haus gerufen haben. Es war ein wenig feucht und kühl an dem Tag. Nicht regnerisch, aber feucht.«
    Allmählich kehrte Farbe in ihr Gesicht zurück. Auch Blick und Stimme wurden fester. Aber immer noch lauerte diese panische Angst im Hintergrund, die man fast mit Händen greifen konnte. Die Bereitschaft, jeden Moment den Kontakt abzubrechen, aufzuspringen, wegzulaufen.
    »Und da hat Tim dann alleine gespielt?«
    »Ich habe kurz überlegt, ob ich ihn auch hereinrufen soll. Aber dann dachte ich, frische Luft tut ihm gut. Außerdem hat Papa geschlafen. Und er ärgert sich immer so schrecklich, wenn Tim ihn weckt.«
    »Was?«, fragte Klara Vangelis. »Was hat er gespielt, als er allein war?«
    »Immer noch mit Puppen«, erwiderte die Mutter mit einem Blick, als fürchtete sie einen Vorwurf. »Tim war … ist … Bitte verstehen Sie, er ist keiner dieser Rabauken, die nur mit Schwertern und Pistolen spielen. Tim ist ein sehr sensibler Junge.« Sie schwieg einige Zeit mit gesenktem Blick, schluckte mehrfach. »Später ist Papa aufgewacht und wollte seinen Tee. Außerdem hatte er sich …« Die nächsten Worte kosteten sie Mühe: »Ich musste ihn umziehen. Und waschen. Und das Bett …«
    »Wie lang hat das gedauert?«
    »Eine halbe Stunde vielleicht.«
    »Und später war Tim verschwunden.«
    Sie nickte fast unmerklich.
    »Was haben Sie dann getan?«
    »Ich habe eine kleine Trillerpfeife. Ich schreie nicht gerne herum. Außerdem, verstehen Sie, meine Stimme …«
    »Haben Sie bei den Nachbarn gefragt, ob ihn jemand gesehen hat?«
    Die Art, wie sie die Augen schloss, war auch eine Antwort.
    »Sie leben ziemlich zurückgezogen«, stellte Vangelis fest.
    »Papa und ich, wir legen keinen großen Wert auf … Bekanntschaften.«
    Nun mischte ich mich wieder ein: »Halten Sie es für denkbar, dass Ihr Mann Tim, sagen wir mal, zu sich genommen hat?«
    »Hermann?« Erstaunt sah sie auf. »Weshalb sollte er so etwas tun?«
    »Bei Scheidungen kommt es vor, dass Eltern sich um das Sorgerecht streiten. Dass Kinder …« Ich versuchte, das Wort Entführung zu vermeiden. »… ohne Einwilligung des anderen Elternteils den Wohnort wechseln.«
    »Scheidung?« Sie musterte mich verwirrt. »Davon ist keine Rede! Wir leben für einige Zeit getrennt, weiter nichts. Und Hermann … verstehen Sie, er wüsste ja gar nicht, was er mit seinem Sorgerecht anfangen sollte.«
     
    Wie ich schon befürchtet hatte, konnte Muriel Jörgensen den Erpresserbrief nicht finden. Verstört versprach sie, später noch einmal alle infrage kommenden Stellen in ihrem kalten Haus gründlich zu durchsuchen.
    Als wir vor die Tür traten, hatte ein grauer Nieselregen aus tiefen Wolken eingesetzt. Mir fiel ein Mann auf, der auf der anderen Straßenseite an einem dunkelblauen Lieferwagen lehnte und zu uns herübersah. Er trug eine olivgrüne Jacke, vermutlich aus alten Armeebeständen, zu einer dunkelbraunen Hose und machte einen etwas heruntergekommenen Eindruck. Als er meinen Blick bemerkte, wandte er sich ab und steckte sich eine Zigarette an.

13
    Der Rest dieses verregneten Freitagvormittags verlief ereignislos. Mit der Staatsanwaltschaft war ich übereingekommen, dass wir über den neuen Entführungsfall erst einmal Stillschweigen bewahren würden. Wenn es stimmte, was Frau Jörgensen berichtet hatte, dann durften wir den oder die Täter nicht unnötig aufscheuchen. Inzwischen leitete Klara Vangelis das Übliche in die Wege und musste einer Menge Kolleginnen und Kollegen eröffnen, dass ihr Wochenende wieder einmal ausfallen würde.
    Mir war noch nicht klar, was ich von der neuen Entführung halten sollte. Zugegeben, es gab gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Verschwinden von Gundram Sander und Tim Jörgensen. Das Alter der Opfer, das vergleichbare Umfeld, die Tatsache, dass beide Kinder von einer Sekunde auf die andere wie vom Erdboden verschluckt waren. Ohne Zeugen, ohne Spuren, ohne Hoffnung. Und dennoch – irgendetwas an Muriel Jörgensens Geschichte stimmte nicht.
    Ein aktuelles Foto von Tim, das seine Mutter mir überlassen hatte, lag vor mir auf dem Schreibtisch. Er war kleiner als Gundram und dunkelhaarig statt blond. Aber irgendwo gab es eine Ähnlichkeit, die ich mehr fühlte als sah. Erst als ich ein

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