Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
engagierten Teams. Jeder Beamte, der nachts im Streifenwagen seine Runden durch die Altstadt dreht, trägt mehr dazu bei als ich.«
»Und wie geht’s nun weiter? Was planen Sie als Nächstes?«
»Ich habe beschlossen, unsere Anstrengungen künftig stärker zu fokussieren. Auf Dauer werden wir die gesteigerte Präsenz in der Öffentlichkeit nicht aufrechterhalten können. Deshalb werden wir wechselnde Schwerpunkte setzen.«
Ich hörte das Klappern ihrer Tastatur durchs Telefon. »Leuchtet ein«, meinte sie.
»Die eine Woche werden es Taschendiebe sein, in der nächsten vielleicht Graffiti-Sprayer oder die Zeitgenossen, die gerne Müllgebühren sparen, indem sie ihren Abfall illegal im Wald entsorgen. Damit hoffe ich auch das Bewusstsein der Bürger zu schärfen für die eine oder andere Erscheinung, die wir alle leider längst als selbstverständlich hinnehmen.«
»Und was wird Ihr nächster Schwerpunkt sein?«
Damit waren wir endlich beim eigentlichen Grund des Gesprächs: »Stalking.«
Sie hörte auf zu tippen. »Stalking? Das ist tatsächlich ein Problem?«
»Sogar ein großes! Nur erfährt die Öffentlichkeit wenig davon, weil sich diese Dinge meist im Verborgenen abspielen und die Betroffenen sich oft – teils aus Scham, teils aus Unkenntnis – nicht zur Wehr setzen. Erst kürzlich habe ich zum Beispiel von einem Mann erfahren, der seiner von ihm getrennt lebenden Frau das Leben zur Hölle macht. Er belästigt sie mit Anrufen, setzt ihr Auto als Schnäppchen in die Zeitung oder ihre Wohnung als zu vermieten. So etwas ist kein Spaß, das ist eindeutig kriminell.«
Sie tippte wieder eifrig.
21
Susi begrüßte mich wie einen alten Freund, obwohl ich seit mindestens einem Vierteljahr nicht mehr Gast in der Susibar gewesen war. Sie wusste sogar noch, dass ich früher immer Durbacher Weißherbst getrunken hatte. Es war abends, kurz vor elf, und der Laden brummte.
»Mal wieder auf Mördersuche bei mir?«, fragte sie fröhlich, als sie das beschlagene hohe Glas vor mich hinstellte. »Wie kann ich diesmal helfen?«
»Keinen Mörder, diesmal«, erwiderte ich lachend. »Der Mann, den ich suche, heißt Pretorius. Angeblich trifft man ihn hin und wieder hier.«
»René, der schöne Detektiv?« Susi strahlte mich tatendurstig an und schob ein Büschel schwarzer Kräusellocken hinters Ohr. Heute trug sie ein gerade geschnittenes dunkelgraues Kleid zum üblichen Durcheinander von buntem Schmuck. »Da könnten Sie eventuell sogar Glück haben. An Montagen kommt er öfter her.«
Ich nippte an meinem Wein, lauschte Paolo Conte – und bemühte mich, ausnahmsweise weder an Muriel Jörgensen noch an Natascha Sander zu denken. Es gelang mir nicht. Zwei Mütter, die beide ihren Sohn verloren hatten und auf sehr unterschiedliche Weisen sehr unglücklich waren. Die eine versuchte mit ihrem Leid fertig zu werden, indem sie es mit der halben Menschheit teilte. Die andere, indem sie es sogar sich selbst gegenüber verschwieg.
Bei Natascha Sander lag der Fall in meinen Augen klar: Sie hatte ihren kleinen Sohn zum Spielen auf die Straße geschickt, damit er das Zusammensein mit ihrem Bruder nicht störte. Was an diesen Treffen so geheim war, wusste ich bis heute nicht. Die Recherchen meiner Leute hatten keinerlei Hinweis auf kriminelle Aktivitäten des Geschwisterpaars ergeben. Dafür, dass Gundram ausgerechnet in diesen zwei Stunden entführt wurde, konnte die Mutter nichts. Das wusste sie natürlich und sagte es sich vermutlich wieder und wieder vor, Tag für Tag, Stunde um Stunde. Und dennoch würde sie nicht aufhören, sich schuldig zu fühlen, und allmählich unter dieser Last zerbrechen.
Bei Muriel Jörgensen hatte ich noch immer nicht einmal den Hauch einer Idee, was geschehen sein könnte. Alles war möglich, so vieles war denkbar. Möglicherweise hatte sie ihren Sohn doch selbst getötet. Vielleicht in der Verzweiflung über das Zerbrechen ihrer Ehe, die lange genug nichts weiter gewesen war als eine Potemkinsche Pappfassade zur Täuschung der Nachbarn und ihrer selbst. Vielleicht hatte auch Tims Vater recht, und der Großvater hatte seinen Enkel im Zorn oder aus Versehen die Treppe hinabgestoßen. In diesem Fall deckte die Mutter den Täter und ging darüber zugrunde. Oder sollte Balke richtig liegen mit seiner Vermutung, dass Hermann Jörgensen hinter Tims Verschwinden steckte?
Und dann gab es ja noch die geheimnisvolle Putzfrau mit falschem Namen. Welche Rolle spielte sie in der Geschichte? Alle Anstrengungen
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