Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
mehr, keine Blessuren und Verrenkungen, keine unruhigen Blicke auf fremde Autonummern. Theresa wusste bisher lediglich, dass ich fündig geworden war, jedoch weder wo noch wie. Bevor ich ging, sah ich mich ein letztes Mal um. Zugegeben, die Wohnung wirkte immer noch ein wenig kahl und seelenlos. Aber das würde sich mit der Zeit von alleine geben. Wohnungen möbliert man ja nicht nur mit Einrichtungsgegenständen, sondern auch mit Erinnerungen und Gefühlen. Ein Blumenstrauß konnte vielleicht nicht schaden, der hoffentlich auch den leichten Kellermief überduften würde.
Balke kam mir deprimiert auf der Treppe zu meinem Büro entgegen. Seit zwanzig Minuten waren unsere Computer wieder mit dem weltweiten Netz verbunden, erfuhr ich.
»Es ist zum Kotzen«, schimpfte er. »Es gibt exakt neunzehn Autos auf der Welt mit vorne HD und hinten 753. Keines davon ist ein Audi, kein SUV, kein gar nichts.«
Als Kripobeamter ist man Enttäuschungen gewöhnt. Unsere Arbeit besteht nun einmal zu neunundneunzig Prozent aus kalten Spuren: Ideen, die sich, oft erst nach unsäglichen Mühen, als Blindgänger herausstellen, und Aussagen, die sich nach tagelanger Telefoniererei letztlich als falsch erweisen. Dennoch war ich in diesem Moment mindestens ebenso enttäuscht wie mein Untergebener.
»Es ist so eine gottverdammte Scheiße!« Balke schien fast mit den Tränen zu kämpfen. »So eine gottverdammte Scheiße!«
Nun war es an mir als seinem Vorgesetzten, Optimismus zu verbreiten. Dabei fiel mir doch selbst das Schlucken schwer. Ich tat etwas, was ich sonst nie tue: Ich legte den Arm um seine Schulter.
»Wir kriegen ihn«, sagte ich leise. »Und wenn es zehn Jahre dauert. Ich verspreche Ihnen, wir lassen nicht locker. Wir kriegen ihn.«
In meinem Vorzimmer brummte die Maschine, Kaffeeduft wehte mir entgegen. Aber ich hatte jetzt keine Lust auf Kaffee. Ich nickte Sönnchen zu und schloss die Tür hinter mir. Ich war müde. Ich sehnte mich nach Ruhe.
Es klopfte.
»Der Herr Runkel möchte Sie sprechen. Dringend.«
Auch das noch.
»Soll reinkommen.«
Runkel erschien mit betretener Miene und gähnte mich erst einmal an. Wegen seiner zahllosen Kinder erschien er hie und da übernächtigt zum Dienst. Aktuell waren es fünf, wenn ich richtig informiert war, und Nummer sechs stand kurz vor der Geburt.
»Na«, begrüßte ich ihn bemüht leutselig. »Hat der Alltag Sie schon wieder am Wickel?«
Er setzte sich in seiner trägen Art, die einen manchmal ein klein wenig nervös machen konnte.
»Dieser Jörgensen, der ist doch viel im Ausland gewesen«, begann er, nachdem er ausgiebig auf seine Hände gestarrt hatte, die von den ständigen An- und Umbauten an seinem Häuschen in Ziegelhausen schwielig waren. »Auch auf den Philippinen, hab ich gehört.«
Ich nickte.
»Ich kenn mich nämlich zufällig ein bisschen aus auf den Philippinen.«
»Ich weiß. Ihre Frau stammt von dort.«
Immer noch glotzte er auf seine Hände. »Bin auch schon dreimal da unten gewesen. Wenn’s nicht die meiste Zeit so schwül wär, könnt man’s ganz gut aushalten.«
Nun wurde ich doch ein wenig ungeduldig. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Endlich sah er auf. »Wie der Balke mir das gestern erzählt hat, dass der Jörgensen auf den Philippinen gewesen ist, da hab ich gedacht … Was man halt so denkt, wenn man Manila hört. Sextourismus, Sie wissen schon.«
Ich nahm einen Stift zur Hand und begann, ihn herumzuzwirbeln. Runkel starrte wieder auf seine Hände. Gleich würde er anfangen zu schwitzen.
»Es ist nämlich so«, fuhr er mit leidender Miene fort. »Ein Cousin von einem Schwager von Mahsuri, der ist bei der Polizei in Manila.«
»Und jetzt sagen Sie nicht, die haben Jörgensen in ihren Akten.«
»Doch, genau. In letzter Zeit gehen die da ziemlich rabiat gegen die Sextouristen vor. Machen Razzien und so. Wegen den Kinderpuffs und dem ganzen Mist.«
Mein Stift kam zum Stillstand.
»Und bei einer dieser Razzien wurde Jörgensen aufgegriffen?«
Runkel nickte, als trüge er persönlich die Schuld daran. »Zusammen mit ein paar von seinen Kollegen.«
»Jungs oder Mädchen?«
Runkel sah aus, als quälten ihn fürchterliche Ohrenschmerzen.
»Sie haben ihn nicht in flagranti erwischt. Aber er ist in einer von diesen Bars gewesen, wo man sich Kinder aussuchen kann. Natürlich sind sie alle besoffen gewesen. Man hat ihnen am Ende nichts nachweisen können, und drum haben sie die Bande wieder laufen lassen müssen. Sagt der Cousin von Mahsuris
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