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Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Titel: Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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beeinflussen. Dymas schaute sich gewissermaßen über die Schulter, bemerkte die Veränderungen, den Verfall, fühlte sich aber seltsam gelähmt.
    Nicht einmal die Zerstörung seiner Musik berührte ihn wirklich. Die Finger und die Saiten beschäftigten sich miteinander, seine Seele war am anderen Ende der Welt. Die Stücke, die sie spielten, wurden zu unbehausten Gebäuden, durch die Tekhnefs Aulos wie ein Wind aus dem Norden strich. Zunächst hielten die Mauern, die Steine, die Verfugungen; nach und nach, innerhalb der wenigen Tage in Larissa, begannen die Gemäuer zu bröckeln: Die Finger und Saiten fanden nicht mehr recht zueinander, der von den verwöhnten Athenern als feinster Kitharist der Oikumene bezeichnete Musiker stümperte, brachte unsaubere Töne hervor, bis es auch den nicht eben verwöhnten Besuchern der Schänken von Larissa auffiel.
    »Was wird aus uns?« sagte Tekhnef; sie hatte sich auf den linken Ellenbogen gestützt und betrachtete Dymas. Er lag auf dem Rücken und starrte hinauf ins Dachgebälk. Die Luft in der kleinen Kammer über dem Schankraum war schal; das Öllicht flackerte im Zug von der Fensteröffnung. Im Winkel neben der Tür lehnten die Instrumente an der Truhe aus Flechtwerk, auf der die Kleidungsstücke lagen.
    »Nicht mehr viel, oder?« Dymas veränderte seine Lage nicht. Er spürte Tekhnefs Blicke; seine Haut schien sie wahrzunehmen. »Es ist vorbei.«
    »Was ist vorbei?«
    »Alles.« Er machte eine fahrige Handbewegung; das Lager aus Strohsäcken, Lederdecke und Fellen knisterte. »Du solltest mich verlassen.«
    Sie sog Luft zwischen den Zähnen ein; er hörte das scharfe Beinahe-Pfeifen. »Willst du dich aufgeben?«
    »Du wirst neunundzwanzig, Tekhnef; ich werde siebenunddreißig. Du wirst noch ein paar Jahre Frau bleiben, ich bin bald Greis. Vierzig ist die Grenze ...«
    Sie berührte seine Brust, wickelte ein paar der schwarzen Haare um ihren Zeigefinger, zupfte, zog die Hand zurück, steckte den Finger in den Mund und beschrieb mit der Fingerspitze, mit Speichel und scharfem Nagel eine Schlangenlinie auf Dymas’ Körper, von der rechten Brustwarze zum Nabel und weiter zum Glied, das sich seit vielen Nächten nicht mehr regte, nicht mehr zum Phallos werden wollte.
    »Greis? Philipp war – sechsundvierzig? Als er sich zum letzten Mal vermählte und ein Kind zeugte. Antipatros ist sechsundsechzig und hält mit eiserner Hand Makedonien, Thessalien und Hellas zusammen – Thrakien nicht zu vergessen; Parmenion ist sechsundsechzig, er reitet in die Schlacht und liebt die Frauen.«
    Dymas grunzte leise. »Meine Finger ...« Er hob die linke Hand, ließ sie wieder sinken. »Sie sind schlaff, wie der da. Ein löchriger Schlauch, der den Wein nicht mehr hält. Ich bin erledigt, Frau.«
    »Du bist erledigt, wenn du dich aufgibst!«
    Ein paar Momente sann er über die vielen Töne ihrer Stimme nach: Überdruß, Verzweiflung, Besorgnis, wunde Leidenschaft, halbverschüttete Hoffnung ...
    »Da ist nichts aufzugeben, da ist nichts festzuhalten, Tekhnef. Da ist – nichts.«
    Sie schwieg, löschte das Licht, wickelte sich in Felle. Vielleicht weinte sie ein wenig, ehe sie einschlief. Dymas lag reglos neben ihr, starrte ins Dunkel und trieb dahin. Wörter, Bilder formten sich; treideln, nein, trudeln auf abschüssigen Gedanken, kein Saum, kein Pfad; Kiel ohne Boot, eine glitschige Helling hinab; das Segel zu neuer Fahrt, das Tekhnef hatte hochziehen wollen, war nasses graues Tuch der Gleichgültigkeit, das ihn erstickte, und er kauerte darunter am Fuß, nein, am Schuh des Masts, der sich nicht mehr aufrichten ließ. Er lachte lautlos; etwas, nicht er, suchte nach Gründen, wie so oft zuvor. Musik: einzelne Halme, die sich unter seinen Fingern nicht mehr zur Garbe verwandeln lassen wollten. Wein: Er konnte trinken bis zum Überlaufen, bis zum Erbrechen, aber auch der schwerste Wein hatte keine Wirkung mehr – als wäre nichts mehr da, das noch betäubt oder erregt werden könnte. Liebe? Wenn es einen Weg gäbe, könnte er sich nicht vorstellen, ihn anders denn mit Tekhnef zu gehen, aber vor ihm war kein Weg, nur ein formlos schwarzgrauer Sumpf, unendlich ausgedehnt und belanglos. Er erinnerte sich an einen Dymas, der sikeliotischer Knabe war. Ein anderer, Sklave in Karchedon. Dymas der Handwerker. Dymas der Musiker. Dymas der Seefahrer. Dymas der Spitzel. Die Kithara unter den Fingern. Eine Feile in der Hand. Rudergriffe und Segeltaue, salzige Gischt und der kalte Wind zwischen den

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