Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Unendliche Gier, unendliche Wut: »Das Meer schlürfen, die Berge zermalmen, die Wüsten in meinem Samen ertränken.« Heiser, tückisch, lockend: »Schöner Held, mit harten Muskeln und hellem Haar – ist es überall hell und hart bei dir? Laß mich dich lutschen, Freund – mit Zähnen.« Stammelnd, ängstlich: »Der Drache Mond, Vater; er ... er brütet ein Ei aus, ein böses Auge; es wimmelt, es starrt mich an, starrt mich an vom Boden eines Brunnens, ein Schacht voller Eiter, ich stürze, ich ...«
Hephaistion schüttelte ihn. »Komm zu dir, komm zurück, Freund! Soll ich Arridaios holen?«
Alexander antwortete mit einem Ächzen; Kallisthenes wünschte sich weit fort, gleichzeitig näher zu den beiden, die auf dem breiten Bett des Großkönigs mit dem daimon rangen. Er preßte die Handflächen gegen die Schläfen und versuchte zu verstehen, was dort vor sich ging, versuchte an Arridaios zu denken, den schwachsinnigen Halbbruder, als Kind – wie man sagte – von Olympias vergiftet, damit der Weg Alexanders zum Thron frei sei; Arridaios, der zäher Lebenswille war und sonst nichts, dem Gift und Magie die Seele genommen und ... Der Hellene erstarrte; ein wahnsinniger Gedanke – wäre es möglich, daß die molossische Hexe die Seelen aller von ihr Getöteten, Vergifteten, Gemarterten in Dunkel gebunden und gezwungen hatte, ihm zu dienen, ihn zu erfüllen, zu überfüllen – den Sohn, der für sie nicht Sohn Philipps war, sondern Gefäß des Gottes? Warum wollte Hephaistion den Halbbruder holen, jetzt, in der Nacht, als Heilmittel, zur Abschreckung, aus weichem düsteren unhellenischen unbegreiflichen Grund?
Alexanders Stimme klang wieder vernünftig, wenn auch schwach. »Ah, laß es gut sein, Patroklos. Mein Kopf ist eine Amphore, und sie ist überall rissig. Durch die Risse sickere ich hinaus in etwas Graues, Schleimiges; und etwas Anderes sickert in mich hinein. Die Nacht dringt in meinen Kopf – wenn ich mich nicht wehre.«
»Die dunkle Unterseite der Welt und der Dinge ...« Hephaistion, der kalte anmaßende Hephaistion, klang erschüttert und mehr denn besorgt – liebevoll? Fürsorglich?
»Wenn all das, was Aristoteles uns gelehrt hat, wenn Wissen und Verstand – sagen wir, logos – wenn all dies Licht ist, was ist dann dieser dunkle Saum, dunkle Schaum, der in mir schwappt und näher kommt und mich verschlingen will?«
»Wenn man müde ist, breitet die Schläfrigkeit ihren Mantel aus, unter dem man ruhen kann. Das ist deine Dunkelheit.«
»Aber du vergißt, was Homeros sagte, Patroklos, und du solltest es nicht vergessen, weil es mit dem Tod des anderen Patroklos zu tun hat, Freund: Schlaf und Tod sind Zwillingsbrüder. Schlafen ist sterben, jedenfalls ein wenig.«
Hephaistion gluckste leise: »Dann stirb jede Nacht ein wenig, Achilles, wie wir alle. Wenn du den einen Zwillingsbruder umarmst und an dich ziehst, könnte der andere dir länger fernbleiben.«
Alexander seufzte. »Aber woher weiß ich, welchen der beiden ich zu mir lasse? Mein Verstand ist ein Öllicht; der Schlaf löscht es – bin ich dann nicht tot? Und während ich ein wenig tot bin, wer ist dann ich? Vielleicht bin ich dann woanders, in einer Gegend von grauem Schleim und von Drachen, die Augen ausbrüten, aus denen Augen schlüpfen... Wer verwüstet in dieser Zeit meinen Körper, wer führt das Heer in die Irre?«
»Bedenke, was Aristoteles sagte. Der Mensch ist inwendig ein System von Waagen und Schalen, und es muß ausgewogen sein, sonst beginnt der Wahnsinn. Wachsamkeit, Freund, muß aufgewogen werden durch Ruhe und Schlummer.«
Alexander lachte. »Du bist ein guter Tröster, aber ich glaube dir nicht. Wenn ich wache, wenn ich denke, stehe ich in der gleißenden Mittagssonne der Vernunft, aus der es kein Entrinnen gibt. Ich sehe meine Macht und meine Schuld, ich kann mich nicht verbergen vor meinen Ängsten oder meiner Schande. Aber wenn dieser Rand des Dunkels näher kommt, wird er mich verschlingen – all das, was wach ich ist; und unter diesem Mantel werde ich kauern und krächzen und kriechen. Ein daimon -Mantel. Vielleicht die Hand des Dunklen Herrn Ahriman; vielleicht haben die Perser recht, wenn sie so in Symbolen von Licht und Dunkel denken ... oder empfinden. Licht, das ist ich und meine vernünftige Herrschaft über mich; Dunkel, das ist ich unter der Herrschaft von etwas Grauenhaftem, Fremdem; ein daimon, Ahriman, Thanatos, Hades. Wenn ich wache, sehe ich, wohin ich renne; wenn ich schlafe, kann ich nicht
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