Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
insgesamt sind die alten Götter nichts als Bilder, Sinnbilder der Lebenskraft, der Lust, Anlässe für sinnlose Orgien. Die ich dem Sterben bei weitem vorziehe, aber das ist nicht der Gehalt, den die Priester hineinlegen. Dann kam Zarathushtra, ein Prophet, der neue Dinge verkündete, die vielleicht nur die alten in neuem Gewand waren. Aber auch seine Verkündigung liegt so lange zurück, daß die Überlieferung ungenau ist. Manche sagen, er sprach von einem geheimen höheren Gott, der zwei widerstreitende Kräfte in die Welt sandte: Ormuzd – Ahura Mazda –, Herr des Hellen Oberen, des Guten, und Ahriman, Herr des Dunklen Unteren, des Bösen. Andere sagen, Ormuzd sei der Obere Gott selbst, Ahriman sein Widersacher. Mithra ist Helfer des Ormuzd. Wieder andere sagen, der Prophet habe lediglich die beiden Teile des alten Mithra getrennt und Ormuzd für die warme Luft, Ahriman für die dunkle Höhle genommen. Gleichviel – die alten Götter sind Elemente des Lebens, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen, aber nicht des Geistes. Vielleicht ist auch der Große Stier, den Mithra immer wieder tötet, das Leben, das der Geist des Menschen unterwerfen und zähmen muß, indem er Gesetze und Ordnungen schafft ... Der Gott des Geistes, der Reine Geist, der All-Weise Herr, nennen wir ihn Ormuzd; er will, daß wir mit Rechtem Sinn leben und handeln. Sein Gebot, sein Reich und seine Lehre ist rtam, das ist die Rechte Ordnung, und ihre Durchführung ist seine Herrschaft unter den Menschen. Daß man sein Tagewerk erledige, mit Freude, als reine und saubere Pflicht. Daß man keine Tiere opfere, sondern bete und sich versenke. Kein hauma, sondern Gedanken. Daß man Früchte darbringe – die Reinheit des Geistes ist wie die Flamme des Feuers, genährt von unreinen Dingen wie Holz oder – Menschenleibern, aber die Flamme muß über den Dingen schweben. Also beten wir den All-Weisen Herrn an, der alle Dinge schuf; wir verehren ihn, indem wir ihm Früchte darbringen auf unseren nackten Feueraltären, indem wir Brot rösten, indem wir Datteln aufschlitzen, oder andere Früchte, damit er ihre Seelen, ihren Duft, ihren Geist atmen kann. Sagen wir, wie einige Priester es sagen: Der All-Weise Herr sandte zwei Große aus, Ormuzd und Ahriman, den Hellen Herrn und den Dunklen Herrn, und wir müssen einem von beiden folgen, uns für das Gute oder Böse, die Lauterkeit oder den Schmutz entscheiden. Den Geist oder den Körper – das Denken oder die Befriedigung der Sinne. Nachdem wir gestorben sind, kommen unsere Seelen zum Abgrund des Grauens, der überspannt ist von der Brücke des Erwählers. Der Erwähler ist der dritte Große, den der All-Weise ausgesandt hat; ein Geist, der die Seelen prüft und wägt und gemäß ihren Verdiensten in den ewigen Lichtgarten oder die ewige Finsterhöhle schickt.« Bei seiner langen Rede hatte Bagoas den Oberkörper langsam vor und zurück geschaukelt; seine Stimme war rauh und fern gewesen, in einem fremden Singsang, der kaum ins Hellenische finden wollte. Nun blickte er auf, lächelte in die schweigende Runde und hüstelte.
»Natürlich glaube ich kein Wort von alledem. Aber es ist eine nette Geschichte, und wie alle Göttergeschichten und Lehren dient auch diese dazu, den Staat zu erhalten und die Menschen zur Achtung der Gesetze zu bringen. Man muß den Tod heiligen, damit die Menschen ihn nicht fürchten; man heiligt ihn am besten, indem man ihn zu einem Tor, einem Übergang in ein anderes Leben erklärt, und wenn dort die Seelen nach ihren Verdiensten gewogen werden, bedeutet das, daß sie vor dem Tod tugendhaft und gesetzestreu sein müssen. Todesfurcht ist die Fessel, die das Raubtier Mensch bändigt. Und Verklärung des Todes ist der Köder, der Helden in die Schlacht gehen läßt.«
Aristandros nickte sehr langsam, sagte aber kein Wort. Alexander blickte zwischen seinem Seher und dem fetten Perser hin und her; dann lächelte er, aber es war ein trauriges Lächeln.
»Es gibt also keine Wahrheit in euren Göttern und großen Geistern?«
Bagoas zuckte wieder mit den Schultern. »Wer kann das sagen? In allem findet der Suchende die Wahrheit, die er hineinlegt. In all diesen Geschichten ist immer noch ein Gott hinter den Göttern; vielleicht ist er wirklich da – irgendwo; vielleicht ist bei ihm die Wahrheit. Es mag so sein, es mag anders sein, es mag eine Wahrheit und eine Ordnung geben, die wir noch nicht erkennen können, oder, vielleicht ... vielleicht gibt es keinerlei Wahrheit und keine
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