Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
»Wenn es sein muß ... Was sind denn nun eure Ziele – am Ende?«
Alle schauten auf Alexander, aber der schwieg. Hephaistion wartete, ob Parmenion spräche; schließlich, als das Schweigen andauerte, räusperte er sich.
»Unser König, Alexander, Herr der Makedonen, ist auch bevollmächtigter Stratege aller hellenischen Truppen – mit Ausnahme derer von Sparta –, und der Heilige Rat zu Korinth hat ihn und uns beauftragt, Unrecht gutzumachen.«
»Unrecht? Welcherlei furchtbare Dinge etwa?« Bagoas’ Stimme war dick von Verachtung. »Hat jemand eine Bettzeugrolle gestohlen? Auf die Schwelle eines Tempels gepißt? Das Schamhaar einer hellenischen Dirne gezaust? Vor wieviel hundert Jahren?«
»So ähnlich.« Aristandros stand von seiner Liege auf, ging zum Perser und starrte auf ihn hinab. »Hast du vergessen, daß seit zweihundert Jahren nichts in Hellas ohne persische Einmischung geschehen konnte? Daß ihr Makedonien zur Satrapie gemacht und unsere Vorfahren ...«
»Du bist doch aus Telmessos, oder?« sagte Bagoas. »Asien, du Makedone!«
»... unsere Vorfahren gezwungen habt, gegen ihre hellenischen Brüder Kriegsfolge zu leisten? Vergessen, daß Xerxes nicht nur hellenische Krieger tötete und hellenische Städte verwüstete...«
»... wie es in jedem Krieg geschieht«, murmelte Parmenion.
»... sondern auch getan hat, was niemand tun darf – daß Xerxes Tempel schändete und die heiligsten Gegenstände, Götterbilder, Altäre, Statuen von Vorkämpfern, all dies nach Persien schaffen ließ? Altäre und Standbilder, die allen heilig und ewig unserem Schutz anheimgegeben waren? Hast du das vergessen, fetter Mann? Die Heiligtümer wurden geschändet, wie auch die Heiligtümer Ägyptens, als König Artaxerxes dies uralte und verehrungswürdige Land unter seinem Stiefel zertrat. Hast du es vergessen? Vergessen, daß er den heiligen Apisstier metzelte? Und es mag sein, daß die hellenischen Städte Asiens Frieden gemacht haben mit euch – weil sie müssen. Aber Milet, Ephesos, Halikarnassos, Priene, sie alle waren da, ehe auch nur einer deiner Vorfahren von einem iranischen Reich zu träumen wagte. Zweifelst du auch nur einen Lidschlag lang daran, daß sie zu wählen wissen, wenn sie die Wahl zwischen hellenischer Freiheit und barbarischer Knechtschaft haben?«
Bagoas seufzte leise, fast mild. »Eine beeindruckende Rede, Seher. Ja, großer Aristandros von Telmessos, ich zweifle. Denn Menschen wählen immer das, was weniger schmerzt, was weniger kostet, was weniger unbequem ist. Und für die Städte an den Küsten Asiens ist es einfach, dem Großkönig Steuern zu zahlen, aber es wäre sehr teuer, sehr mühsam und sehr blutig, die Dinge zu ändern ...«
»Es mag einfacher sein, aber in der Bequemlichkeit von Sklaven liegt keine Tugend.«
»Wer fragt nach Tugend, wenn sie Hunger bedeutet? Das wären also deine Ziele, Alexander? Die Hellenen Asiens befreien?«
Alexander gähnte und rieb sich die Augen. »Das, und ein paar andere Dinge. Vor allem aber ist es nun mein Ziel und allerhöchster Wille, euch alle gehen zu sehen und ein wenig zu ruhen.«
Sie leerten ihre Becher, standen auf und verließen das Zelt. Ptolemaios, der in dieser Nacht die Lageraufsicht hatte, half Eumenes auf die Beine; der Kardier war zu vollgefressen und vollgetrunken, um selbst aufzustehen. Schließlich waren außer Alexander und Hephaistion nur noch Ptolemaios und einige Königsknaben im Zelt, die er anwies, das Lager hier zu bereiten, nicht im kleineren Schlafzelt. Er blieb am Eingang stehen; während die Knaben und Sklaven ein breites Lager auf dem Boden aufschlugen und Alexander entkleideten, löschte Ptolemaios die Fackeln, indem er sie in einen Wassereimer tauchte.
Hephaistion saß auf dem Rand des Lagers und betrachtete den König. Alexanders Gesicht war müde, erschöpft, alt. Er lächelte und nahm Hephaistions Hand.
»Keine Sorge, Freund. Ich will nur ruhen, noch ein wenig reden, deine Nähe spüren, die die Nacht aus meinem Kopf treibt. Mehr nicht.«
Hephaistion löste seinen Gürtel, streifte die Sandalen ab und legte sich neben Alexander, der an die dunkle Zeltdecke starrte. Nur drei Öllampen brannten noch; alle Sklaven und Knaben waren gegangen. Hephaistion langte nach der schweren Decke, breitete sie über Alexander und sich, legte dann die Hand auf die Brust des Freundes.
»Wo wäre ich ohne euch?« sagte Alexander. »Es wäre kalt und einsam. Es ist kalt und einsam.«
»Geben wir dir nicht genug
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