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Alexander

Alexander

Titel: Alexander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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stockten. Alexander, plötzlich aufgerichtet, mit einer kindlichen und hellen Neugier: »Wie sah es aus?« Die beiden brummten was in ihre Bärte; Alexander befahl, schon ungeduldig und mit gefährlicher Schärfe: »Sprecht deutlich, wenn ich euch etwas frage.«
    Um so fassungsloser stotterten die zwei Bärtigen: der Himmel habe sich wie ein Rad gedreht; es sei dort, meinten sie, ein großer Sturm gewesen, so ein Brausen, ein dumpfes. – Alexander winkte angeekelt ab. »Ihr wißt ja auch nichts«, sagte er müde. Und da die beiden noch stehen blieben: »Warum geht ihr denn nicht? Trollt euch!« Blitzend, zu seiner ganzen Höhe aufgerichtet, schrie er sie an: »Ihr habt euren König angelogen! Seid dankbar, wenn ich euch nicht peitschen lasse!«
    Da die beiden hinausgestapft waren, sank er in der Dämmerung wieder zusammen. »Die wissen auch nichts«, wiederholte er.
    Geplagt von seiner ungeheuren Neugierde wie von einer Krankheit, stöhnte er, an die Schläfen die Hände gepreßt: »Wer doch wüßte! Wer es doch gesehen hätte!«
    II
    In den abgelegenen Hainen saßen die, die Buße taten. Sie hockten hager und nackt, ihre finnige Haut hatte ganz die Farbe des Lehms. Sie schabten ihren Aussatz und suchten nach der Erkenntnis. Mazedonische Soldaten, die solche fanden, betrachteten sie sowohl angeekelt als ehrfurchtsvoll.
    Sie hatten schon manchen Weisen so im Kote gesehen; zu Hause wurden sie die Zyniker genannt, weil sie taten, wie die Hunde tun. Hier hießen sie die Gymnosophisten, denn sie waren unbekleidet und trachteten nach der Weisheit.
    Man versuchte sie zu verhöhnen, aber ihr Blick blieb milde, sogar stolz bei aller Demut. Wenn die Soldaten sie mit Stöcken und Halmen an den verfilzten Bärten, den krustigen Ohren kitzelten, lächelten sie nachsichtig und ermunternd. Sie drohten mit dem Finger; was sie murmelten verstand man nicht, aber sicher war es bescheiden und fromm.
    Zu einigen, die besonderen Ruf hatten, ließ Alexander sich führen; sie begrüßten ihn mit stiller, unbewegter Freundlichkeit, wie sie auch den gemeinen Soldaten begrüßt hätten. Über ihre Augen erschrak der König: sie hatten einen Blick von selig-schmerzlicher Entrücktheit. In ihren verschimmelten, von Schmutz und Ausschlag rauhen Gesichtern leuchteten diese Augen mit einer mehr als menschlichen Kraft.
    »Lehrt mich!« bat Alexander, der gewohnt war, fremden Offenbarungen zuzuhören. Einer der Greise erwiderte freundlich, doch unerbittlich: »Du kannst uns nicht zuhören.«
    »Warum nicht?« fragte Alexander, etwas verletzt. »Unterrichtet mich!« bat er heftig noch einmal.
    Sie schüttelten mit sanfter Strenge die verfallenen Häupter: »Dein Geist ist unruhig. Du mußt in dich gehen. Setze dich auf diesen Baumstumpf und sprich vierundzwanzig Stunden kein Wort.«
    Alle drei wiesen mit ihren welken Händen dorthin, wo er sitzen sollte. Sein Wissensdurst war stärker als sein Trotz. Er zögerte einen Moment, wollte auffahren; dann setzte er sich, um zu schweigen.
    Es war schwer, denn er war alles gewohnt, nur nicht Ruhe. So kamen Gedanken, die beinah nicht zu ertragen waren; vor allem kam der Gedanke an Kleitos.
    »Tröstet mich!« bat er nach zwölf Stunden. Doch die Verschimmelten schüttelten mit stiller Unnahbarkeit die Häupter. Er mußte nochmals zwölf Stunden in sein Inneres schauen, das zu erkennen er sich fürchtete. Er merkte, daß es unergründlich war, es schwindelte ihm. »Wohin schaue ich, wenn ich in mich schaue?« fragte er sich entsetzt.
    Endlich winkten sie, daß er fragen dürfe. Er fragte hastig, denn er war des Trostes so bedürftig wie einer, dessen Wunde blutet, eines Verbandes: »Sind die Taten gut gewesen, die ich vollbracht habe?«
    Sie erwiderten rätselhaft, als wüßten sie alle seine Gedanken: »Abgrundtief ist das Wesen der Tat.« Nach langer Pause fügten sie hinzu:
    »Wer in der Tat das Nichttun schaut und in dem Nichttun grad die Tat, der ist ein einsichtsvoller Mensch, andächtig tut er jede Tat.« Nach noch größerer Pause sagte einer von ihnen mit träumerisch entgleitendem Blick: »Dem löst das Tun sich völlig auf –.« Worauf alle drei die Augen schlossen und verstummten.
    Aus ihrer Rede wehte es den König friedevoll und schauerlich an. Er fühlte, einige Sekunden lang, alles, was er getan und geleistet hatte, ins Nichts zerfließen, sah es aufgehoben; ebenso das, was er noch tun würde. Während dieser beängstigende Friede noch wie Hauch seine Stirne berührte, sprachen die drei

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