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Alexander

Alexander

Titel: Alexander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Mann
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schmutzigen Weisen auch schon vom Hauche, den sie das oberste Prinzip, den ersten der Götter nannten.
    »Der Wind ist es, der alles an sich zieht«, begann der erste mit singender und lockender Betonung. »Wenn das Feuer ausgeht, geht es in den Wind ein. Wenn die Sonne untergeht, geht sie in den Wind ein. Wenn die Wasser austrocknen, gehen sie in den Wind ein. Der Wind zieht diese alle an sich.«
    Da der erste seinen träumerischen Singsang beendet hatte, begann der zweite, ebenso süß und ebenso monoton.
    »Der Hauch ist es, der alles an sich zieht. Wenn einer schläft, so geht die Stimme in den Hauch ein; in den Hauch das Auge, in den Hauch das Ohr, in den Hauch das Manas, der Geist –«
    Alexander, der vierundzwanzig Stunden gewacht und in den Abgrund geschaut hatte, schlief schon. In seinen Schlaf hinein hörte er den dritten mit seiner leiernden Verführerstimme:
    »Prana, der Hauch, ist Brahman; kam, die Freude, ist Brahman; kham, der Äther, ist Brahman.
    Lebenshauch, Raum, Himmel, Blitz – das bin ich, offenbart Brahman.«
    Im Tiefschlaf, so hieß die Lehre, vereinigte die Einzelseele sich mit dem Atman, der die Allseele ist. Erst der ermüdete Alexander war empfänglich, den Schlafenden erreichte der Vortrag der Eingeweihten. Dem sanfter Atmenden konnten sie das Geheimnis vom unendlich gestalteten, nie geoffenbarten, milden, friedevollen und unsterblichen Schoß des Brahman vorsingen und vorleiern; erst der ganz Beruhigte war aufnahmefähig.
    In feierlicher Wechselmelodie lösten sie einander ab.
    »Brahman ist Speise«, sagte der erste.
    »Brahman ist Hauch«, der zweite.
    Drauf der dritte: »Brahman ist Geist.«
    Der erste sagte wieder, mit großer Betonung: »Erkenntnis ist Brahman.«
    Der zweite schwieg, worauf der dritte stolz vollendete:
    »Wonne ist Brahman.«
    Es zeigte sich, daß Brahman alles war, das Wesen aller Erscheinung, das aus Denken und Wonne besteht. Er trug viele Namen; doch schaute man ihn fromm und gründlich an, war er immer derselbe.
    Der eingeschlafene Alexander erfuhr, wie der Mensch am sichersten sich dem Brahman nähert. Ach, er selber hatte es durchaus falsch angefangen; die klugen Stimmen empfahlen als Pfad zur Erlösung nicht Nachkommen, Reichtum oder fromme Werke, geschweige denn kriegerische Taten, die blutbefleckt waren; sie empfahlen Entsagung. Diese gerade hatte er nie geübt.
    Da der Schlafende die Greise fragte, was Erlösung sei, schwiegen sie alle drei und sahen mit undurchdringlichem Lächeln zur Erde. Aber aus ihrem Schweigen noch wehte der Friede, der so unheimlich wie verführerisch war.
    Statt der Antwort begannen sie wieder zu lehren, wie man sich Brahman nähert. Welch genau vorgeschriebene und geheimnisvolle Näherung!
    »Der Weise geht in die Flamme ein«, begann der erste mit singender Umständlichkeit. »Aus der Flamme in den Tag; aus der zunehmenden Monatshälfte in die sechs Monate, in denen die Sonne nach Norden geht; aus diesen Monaten in das Jahr, aus dem Jahr in die Sonne, aus der Sonne in den Mond, aus dem Monde in den Blitz. Dort endlich trifft er den vergeistigten, nicht mehr menschlichen Mann, der ihn geleitet zu Brahman.«
    Drauf der zweite, mild bestätigend: »Das ist der Pfad der Götter, der Pfad des Brahman.«
    Verheißungsvoll schloß der dritte: »Wer auf ihn gelangt ist, kehrt zu dem menschlichen Strudel nicht mehr zurück. – Nicht mehr zurück«, wiederholte er lieblich und hohl.
    Nun ahnte der Eingeschlafene, was Erlösung bedeutete: Nicht-Wiederkehren; »keine Neugeburt mehr erleiden«, nannten sie es. Sein Ich wollte sich auflehnen, aber die Verführung blieb stärker.
    Ihm war, als triebe er ein sanftes Gewässer hinunter, auf einem Kahn, der leicht schaukelte. Düfte kamen, sowohl aus dem Wasser als auch von den Ufern, die voll blühender Büsche standen. So zauberhaft war er noch nie geschaukelt worden. Um ihn löste sich‘s auf, Farben und Formen. Was er für Materie gehalten hatte, erwies sich als Trug; mit Lustgefühlen sah man, wie es sich verflüchtigte. Natur, Traum und Geist gingen eins ins andere hinüber, alles wurde zur Gottheit, schließlich die Gottheit zum Nichts.
    Das Meer, dem man entgegentrieb mit so süßem Geschaukel, war das Nichts; der stromabwärts Fahrende wußte es, ohne es sich einzugestehen; es lockte formlos, bodenlos, endlos. Erst kam die Erkenntnis, dann die Wonne, dann die Auflösung, die von allen Banden befreit.
    Die lehrenden Stimmen raunten und betörten; wie lange ruhte der König bei den

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