Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Büchern und kleinen Bronzefiguren vollgestellt waren. Es würde sinnlos sein, hier etwas finden zu wollen. Zudem hatte er nicht viel Zeit. Also nur der Computer.
Marlon ging zum Schreibtisch und schaltete den PC ein. Während das System hochfuhr, fummelte er den Autoschlüssel aus der Hosentasche und zog den daran befestigten USB -Stick aus der Schutzhülle. Ein Gigabyte sollte ausreichen. Falls er überhaupt etwas finden würde. Marlon zuckte zusammen, als der Windows-Gong aus den Lautsprechern des Flachbildschirms erklang. Das System war bereit. Marlon schob den Stick in den Front- USB des Gehäuses und klickte sich durch die Verzeichnisse der Festplatte. An einem blieb er hängen. Allein weil die Bezeichnung ihm nichts sagte und der Titel ungewöhnlich klang: »Rosebud.« Der Ordner war passwortgeschützt und mit einem Kryptoprogramm komprimiert worden. Das würde sich lösen lassen. Marlon kopierte den kompletten Ordner auf den Stick.
Bevor er den PC wieder herunterfuhr, öffnete er das Cache-Verzeichnis im Internet-Explorer, in dem der Rechner alle in die Zwischenablage gespeicherten Dateien der letzten Online-Sitzungen aufbewahrte, um sie schnell wieder abrufbar zu haben. Engberts schien keine Ahnung von solchen Dingen zu haben, sonst hätte er den Cache-Wert auf null gesetzt. Während Marlon darauf wartete, dass die Dateien von der Festplatte auf den Stick flogen, öffnete er die Verlaufsanzeige in der Eingabezeile des Browsers. Ein Fenster mit Hunderten von besuchten Internetadressen sprang auf. Wie elektrisiert setzte sich Marlon aufrecht im Stuhl auf, als er an dritter oder vierter Stelle »purpuradragon.com« las. Er hatte also recht gehabt. Die Dinge hingen zusammen. Hier wurde großes Tennis gespielt, und er stand mitten auf dem Platz am Netz und sah dem Ball hinterher.
Marlon konnte der Versuchung nicht widerstehen, warf einen Blick in das Cache-Verzeichnis und sortierte die Dateien nach Datum. Er klickte auf einige Bild- und PDF -Dateien. Medizinische Dokumente über Testreihen, wie es schien. C- 12 . Marlons Augen weiteten sich. Patientenakten. Manches war in Spanisch geschrieben und stammte wohl aus Paraguay, wie Marlon beim Querlesen mutmaßte, als er mit den Blicken am Wappen der Regierung hängenblieb. Anderes war auf Deutsch verfasst. Meridian Health Care, las Marlon auf einem Dokument, und sein Herz blieb fast stehen, als er auf einem weiteren das Logo des NSA identifizierte – des amerikanischen Nachrichtendienstes. Stück für Stück begann Marlon das Ausmaß dessen zu erahnen, was Engberts hier mit einigen ausgewählten Patienten trieb. Rasch kopierte Marlon die Dateien auf den Stick und klickte dann auf eine mpg-Video-Datei. Als ein grün-weißes Bild im Media Player auftauchte, das US -Soldaten zeigte, die über eine Straße liefen, hielt er den Atem an. Das Bild wackelte. Häuserwände und Mauern zogen vorbei. Einmal wurde es weiß, als das Licht einer Straßenlaterne in die Kamera fiel. Einige schwerbepackte Soldaten mit kurzen Schnellfeuergewehren rannten geduckt über eine Straße. Marlon hörte das Schnaufen des Soldaten, der die Kamera trug, seine dumpfen Schritte, und regelte sicherheitshalber die Lautstärke herunter. Dann ein heller Blitz. Das Bild wackelte. Ein Rinnstein. Mauern. Holzsplitter und Staub in der Luft. Eine zerborstene Tür und die Rücken von zwei Soldaten, die wohl dicke kugelsichere Westen trugen. Dann immer wieder Blitze. Eine Treppe und das vorbeifliegende Geländer. Zwei verschleierte Frauen gerieten ins Bild. Sie gestikulierten. Eine trug eine Waffe. Das Video-Bild ruckelte. Es sah aus, als sei ein Stroboskop angeschaltet worden. Dann waren die Frauen verschwunden.
Marlon stoppte die Wiedergabe, sortierte die Dateien nach Typ und stieß auf weitere Videofiles. Der nächste schien von einer Deckenkamera aufgezeichnet worden zu sein. Das Startbild zeigte einen leeren, weiß gekachelten Raum. In einer Ecke saß zusammengekauert eine Frau mit knallroten Haaren, die nur Slip und Top trug. Die Hände waren an den Kopf gepresst. Marlon drückte auf Play und zuckte im nächsten Moment zusammen, als gellende Schreie aus dem Monitorlautsprecher drangen. Sofort regelte er die Lautstärke runter. Die Frau schrie wie am Spieß, riss sich Haare aus. Dann sprang sie auf und versuchte verzweifelt, in der Ecke an den Wänden hochzuklettern. Ihre Finger kratzten über den glatten Belag der Fliesen und fanden nirgends Halt. Erst dann sah Marlon, dass die Frau nicht alleine
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