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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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in dem Raum war. Ein schwarzer Punkt huschte über den Boden. Er rückte so nah an den Bildschirm, dass seine Nase fast die Oberfläche berührte. Der Punkt musste so etwas wie eine Spinne sein, wenngleich im Verhältnis zum Körper der Frau ein außerordentlich großes Exemplar. Der nächste Clip zeigte in demselben Raum einen verzweifelt weinenden Mann, der auf allen vieren splitternackt auf dem Boden hockte und mit einer Hand in die Luft hämmerte. Da war etwas über ihn gestülpt, und jetzt erkannte Marlon, dass der Mann in einer Art Aquarium steckte, das ihm kaum Platz für Bewegungen ließ. Die Glasscheibe, gegen die er ununterbrochen hämmerte, war rot verschmiert. Der Mann musste sich bereits die Knöchel aufgeschlagen haben.
    Marlon stoppte die Wiedergabe, zog den Stick heraus und schaltete den Computer ab. Einen Augenblick starrte er wie paralysiert auf den erlöschenden Bildschirm. Dann stand er auf. Der Raum. Menschenversuche. Vielleicht war es der Raum, von dem Roth gesprochen hatte. Ein Panikraum, in dem Menschen ihren größten Ängsten ausgesetzt wurden – Platzangst, Angst vor Spinnen. Wer weiß, was es im Fall von Roth und Siemer gewesen war. Marlon hielt sich an der Tischkante fest. Ihm wurde schwindelig. Kleine weiße Flecken tanzten auf seiner Netzhaut. Alle Nervenbahnen schienen aus den Poren zu dringen und sich wie Tentakel um den Brustkorb zu schnüren. Das Gehirn begann langsam, sich um sich selbst zu drehen. Die zuckenden Beine eines Rehs. Blutschaum auf roten Lippen. Es waren die Zeichen.
    O Gott, nein, nicht jetzt, nicht …
    Im nächsten Moment – es mochten auch Stunden vergangen sein – kam Marlon auf dem Flur wieder zu sich. Er hatte keine Ahnung, wie er hierhergekommen war. Er lag benommen auf dem Boden. Speichel tropfte ihm von den Lippen, die taub waren wie nach einer Spritze beim Zahnarzt. Vor ihm der Stick. Das Handy und das Feuerzeug waren aus der Tasche der Jeansjacke gefallen. Er sammelte sie auf und steckte sie zurück. Dann stand er auf. Der Kopfschmerz traf ihn wie ein Schlag. Marlon sah auf die Uhr. Fünf Minuten. Länger war er nicht weg gewesen. Sein Gehirn schien immer noch um sich selbst zu kreisen. Er musste raus. Schnell. Marlon hielt sich an dem Geländer der Holztreppe fest, um nicht hinunterzufallen. Als er unten angekommen war, blickte der Student von seinen Büchern auf. Marlon versuchte ein Grinsen, winkte und zeigte den erhobenen Daumen.
    Okaaaaaay, alles super, okaaaaaay …
    Der Student nickte nur kurz und widmete sich wieder seinem Lehrmaterial.
    Draußen durchdrang die Abendluft Marlons Hautporen, schmiegte sich um die Nervenstränge und kühlte sie wieder ab. Er atmete tief ein und aus, pumpte den Sauerstoff durch die Verästelungen der Bronchien bis in die hintersten Winkel seiner Lungen, erfüllte den ganzen Körper mit Frische. Aus seinem breitbeinigen Torkeln wurde ein ungelenker Gang, der sich zu festen Schritten wandelte, die schließlich in einen gleichförmigen Laufrhythmus verfielen.
    … ohgottgottseidankohgottumhimmelswillen …
    Marlon schloss den Golf auf, kurbelte das Fenster herunter und steckte sich eine Marlboro an. Süchtig sog er an dem Filter und stieß den Rauch in einem langen Strahl aus dem Fenster. Dann presste er den Kopf an die Kopfstützen, schloss die Augen und lauschte der Stille. Als die Zigarette aufgeraucht war, schnippte er die Kippe aus dem Fenster, ließ den Wagen an und warf die Pistole auf den Beifahrersitz. Es gab etwas zu klären. Jetzt und sofort. Kein Aufschub möglich. Und wenn dieser Engberts auch nur den Hauch von Widerstand leistete, würde er mit ihm höchstpersönlich Ostereier ausblasen spielen und ihm hinten und vorne ein Loch in den Kopf ballern, bevor er tief Luft holen und Engberts brillantes Gehirn aus der Schädelschale pusten würde.

[home]
    46 .
    D as Refugium der Geschäftsführer, Vorstände, Ärzte und neureichen Unternehmer roch förmlich nach teurem Rasierwasser und Nadelstreifen, und die Gebäude sprachen eine klare Sprache: Lasst uns in Ruhe. Nah an Wald und See schmiegten sich Villen der Jahrhundertwende neben modernen geduckt an die Hänge, versteckt hinter hohen Hecken und Mauern. Davor parkten Jaguars und BMW s. An einem heißen Samstagnachmittag, dachte Alex, während sie ihren Mini durch die menschenleere Straße steuerte, würde hier niemand mit eigener Hand seinen Wagen waschen, den Rasen mähen oder Kindern beim BMX -Fahren oder Fußballspielen auf der Straße zurufen, ob sie

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