Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
und nach einem bestimmten System zu erledigen. Hier aber schlampt er rum, steckt die Hütte an und bringt außer Roth noch drei weitere Personen um. Akkurat nenne ich das ja nicht.«
»Ja, Rolf, und was soll das jetzt heißen? Dass Kraft die Lukoschik zwar umgelegt hat, alle anderen aber nicht?«
»Keine Ahnung, was das heißt, aber irgendwas heißt es.« Schneider seufzte, zog eine weitere Zigarette aus der Schachtel und steckte sie an.
»Und wenn ich mir das mal aus einem anderen Blickwinkel anschaue«, fuhr er fort und paffte an der Pall Mall, »dann stelle ich fest: Siemer war ein Tatverdächtiger – er ist tot. Roman König war ein Kandidat – auch er ist tot. Übrig bleibt Kraft, was für ein Zufall.« Schneider wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Hitze war unerträglich.
»Okay, ich ahne, worauf du hinauswillst, aber die Sache mit König war ein Unfall, richtig? Und wenn wir Alex’ These einbeziehen, dass Kraft an Blackouts leidet und seine Taten in dieser Umnachtung begeht, fällt dein Konzept in sich zusammen.« Reineking nahm die Ray Ban ab und putzte die Gläser am Hemdzipfel, bevor er die Brille wieder auf die Nase schob. »Denn dann hat er im normalen Bewusstsein erst die Lukoschik gefickt, hat dann abgeschaltet und sie umgelegt und auch die weiteren Morde während seiner Blackouts begangen.«
»Und Siemer?«
Reineking fuhr sich mit der Hand am Kinn entlang. »Okay, eins zu null für dich.«
»Und was macht einer in geistiger Umnachtung? Präzise wie ein Uhrwerk agieren?«
»Zwei zu null.«
»Na ja, mein Freund«, ächzte Schneider und klopfte Reineking auf die Schulter. »Ich denke, ich werde mich jetzt mal darum kümmern, woher Kraft seine Knarre hat, und sobald die Leiche von Roth geborgen ist, rausche ich rüber zur Pathologie. Vielleicht bekommen die noch etwas über dessen Todesumstände heraus. Mit der Frau Gräfin möchte ich auch noch mal reden. Ich habe da so eine Idee.«
Reineking nickte. »Ich bleibe so lange hier, bis sie die Leiche haben. Was hältst du eigentlich von ihr?«
»Von der Gräfin?«
Reineking nickte.
»Also, sie ist zwar nicht mein Typ, aber im Suff könnte ich sicher schwach werden«, lachte Schneider heiser.
»Und sonst?«
Schneider zog tief an der Zigarette, bevor er antwortete. »Ich denke, sie ist ein Ass auf ihrem Gebiet, und wir alle verschließen davor noch etwas die Augen, weil wir sie für einen Grünschnabel halten und weil sie ’ne Frau ist.«
»Mhm«, nickte Reineking.
»Und außerdem«, sagte Schneider im Weggehen, »hat sie weitaus größere Titten als du.«
Reineking beugte sich nach unten, nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn Schneider hinterher. »Was man von deinen ja wohl nicht sagen kann, Rolf!«
»Wer hat, der hat«, rief Schneider und duckte sich weg, bevor er in den Wagen stieg.
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51 .
O perative Fallanalyse. Profil-Erstellung. Interpretation. Das alles war schön und gut. Hier versagte es. Aber vielleicht war es nicht das System, das nicht funktionierte, dachte Alex. Vielleicht war sie es. Vielleicht war das alles ein paar Nummern zu groß für sie. Alex trank einen Schluck Kaffee, schlüpfte aus ihren Schuhen und ließ einen am großen Zeh baumeln. Sie saß bereits seit einer guten Stunde über dem vorläufigen Gutachten, das Marcus eingefordert hatte, kam aber keinen Schritt weiter. Kumuluswolken zogen an ihrem Fenster vorbei. Die Bäume bogen sich im Wind, der immer wieder in starken Böen auf die Glasfront traf und die Außenjalousien vibrieren ließ.
Alex sortierte die Kugelschreiber vor sich in eine Reihe, schob sie zu einem Viereck zusammen und richtete schließlich die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch nebeneinander aus. Sie hatte versucht, jede Information über Glücksberg und andere Dinge auszublenden. Das alles durfte sie nicht in Verbindung mit dem Täterprofil bringen, das am Ende auf Marlon hindeuten würde. Doch schien alles miteinander verknüpft zu sein. Und sosehr sie sich auch Mühe gab, alles zu ordnen – das Täterbild blieb zu glatt, zu perfekt, zu typisch und klischeehaft. Die Wahrheit hatte für gewöhnlich Ecken und Kanten, tiefe Scharten, merkwürdige Übereinstimmungen und stets eine Überraschung parat – jedoch nicht solche Ausreißer, wie sie in diesem Fall aufgetaucht waren. Einerseits schien alles nach Lehrbuch zu laufen: traumatische Störungen nach Schockerlebnis und Kopfverletzung als auslösendes Moment für eine schizophrene Erkrankung, Adaption von
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