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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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über allem thronte, ein schwarzer Heiligenschein, ein Spinnennetz, dessen wirre Verstrebungen auf ein Zentrum zuliefen. Und als Alex den Strahl der Maglite auf diese Mitte richtete, grinste er sie mit gebleckten Zähnen an – feuerspeiend, sich windend und aus wild glühenden Augen feindselig starrend. Die Schuppen schimmerten in tiefstem Purpurrot. Die Klauen würden mit einem Hieb alles Fleischliche zerfetzen, was sich ihnen in die Quere stellte.
    Da war er. Der Drache.
    Wie hypnotisiert starrte Alex auf das große Airbrush-Bild, das die Mechanik an der überdimensionalen Nabe des Riesenrads verdeckte. Das Fahrgeschäft musste an die vierzig Meter hoch sein. Die untere Balustrade, die Gondeln sowie das Kassenhäuschen waren im chinesischen Pagodenstil gehalten. Und jetzt fiel Alex ein, dass sie über das Rad gelesen hatte. Ein Novum auf dem Markt. Vom gleichen Hersteller, der in China das seinerzeit größte stationäre Riesenrad der Welt mit hundertsechzig Metern Höhe gebaut hatte: Den »Stern von Nanchang«. Hier und nirgendwo anders würde sich Marlon aufhalten. Das Riesenrad musste der Treffpunkt sein.
    Die Schritte ließen sie zusammenzucken. Sie knallten auf den Riffelblechen, mit denen die Basis des Fahrgeschäfts bedeckt war. Alex zog die Pistole und richtete mit der anderen Hand die Maglite auf den Bereich des Kassenhauses, von wo die Geräusche kamen. Als Marlon langsam in den Strahl trat, senkte er den Kopf und starrte von unten in Alex’ Richtung. Der Regen troff ihm von den Augenbrauen. Sein Hemd klebte nass am Körper. Seine Pistole ließ er achtlos am Finger baumeln.
    »Guten Morgen, Alex«, rief er ihr zu. Mit seinem Ruf wehte der Wind aus der Ferne den Gongschlag einer Kirchenglocke herüber. Es war Punkt drei Uhr. »Pünktlich bist du, auf die Sekunde.«
    Er duzte sie. Hatte das etwas zu bedeuten? War es Vertrautheit? Herabwürdigung?
    »Marlon, du musst die Waffe beiseitelegen. Was auch passieren wird. Es ist Angelegenheit der Polizei. Leg die Waffe vor die Füße.« Alex spürte, wie sich ihre Worte überschlugen. Außerdem zeigten sie keinerlei Wirkung.
    Marlon lachte. Er hob den Kopf, streckte das Gesicht in den Regen und schien ihn wie eine frische Dusche zu genießen. Er öffnete den Mund, um einige Tropfen einzufangen. Dann blickte er wieder zu Alex.
    »Drei Uhr. Eigentlich müsste jetzt etwas geschehen, oder? Was meinst du – bin ich schon zum Werwolf geworden, oder kommt das noch?« Marlon imitierte das Jaulen eines Wolfes.
    »Marlon, bitte!« Alex sah sich in alle Richtungen um. Nichts als Dunkelheit. Wo zur Hölle blieb Marcus?
    Kraft lachte wieder. »Ach, Scheiße, Alex. Wer weiß schon wirklich, wer er ist. Irgendein Tier steckt doch in jedem von uns. Bei einigen ist die Bauchdecke dicker, bei anderen dünner. Was haben wir für eine Chance, als uns dem Monster in uns zu stellen? Keine. Nicht die geringste. Je länger wir die Türen verschlossen halten, desto stärker wird das Biest. Und schlimmer noch, wir füttern es mit allem, was wir in uns hineinfressen. Aber irgendwann kommt die große Abrechnung.« Dann breitete er unter den Schwingen des purpurnen Drachen die Arme aus und brüllte: » HIER BIN ICH !«
    Mit einem Knallen gingen sämtliche Lichter des Riesenrads an. Alex kniff die Augen zusammen. Von rechts kam gelassener Applaus. Langsames Klatschen. Alex sah, wie Kraft zusammenzuckte und seine Pistole hochriss. Alex wirbelte mit der Waffe herum, blickte über die Schulter und versuchte, den Lampenstrahl weiter auf Marlon zu richten, was ihr leidlich gelang. Vor dem in allen Regenbogenfarben strahlenden Riesenrad war er nur noch als Umriss zu erkennen.
    »Großartig«, hörte sie eine Stimme rufen. Es war unklar, woher sie kam. Von irgendwo aus der Dunkelheit. Aus einer Nische zwischen zwei Fahrgeschäften. Alex konnte nichts erkennen. Sie hatte zu lange in das grelle Licht geblickt.
    »Bravissimo!« Dann hörte das Klatschen auf. »Wie schön, dass du uns alle an deiner Weisheit teilhaben lässt, Marlon.«
    Marcus. Endlich. Alex atmete auf. Der Druck auf ihrer Brust löste sich etwas.
    »Bist du das, Superbulle?«, brüllte Marlon und wandte sich unmittelbar danach an Alex. »Was hat der Superbulle hier zu suchen? Was hatte ich gesagt, Alex? Was hatte ich gesagt? So etwas nennt man Vertrauensmissbrauch!«
    »Nein«, antwortete Marcus aus dem Nichts. »So etwas nennt man Pflichterfüllung. Seinen Job tun. Verantwortung zeigen. Ist dir fremd, Marlon, was?«
    Von rechts

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