Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
wissen?
Vielleicht.
Wie konnte er von dem Purpurdrachen wissen?
Keine Ahnung. Eventuell kennt er Roth.
Und Juliane Franck?
Das Löschdepot liegt gegenüber der
FH
.
Roloff kam herein. Wie üblich sah er aus wie eine Mischung aus Stefan Aust und Berti Vogts. Die Krawatte war schwarz. Sein Zeichen der Trauer um Sandra. Roloff schloss bedächtig die Tür, das konnte nichts Gutes bedeuten. Er stellte seinen Kaffeebecher, auf dem
New York Times
stand, auf Marlons Schreibtisch und setzte sich auf eine Kante. »Ist das der Text für morgen?«
Marlon nickte. Mit einem dumpfen Brummen im Nacken meldete sich der Kopfschmerz zurück.
»Weißt du, warum ich Johnny Cash so mag?«
Marlon schüttelte den Kopf. Nein, das alles verhieß wirklich nichts Gutes.
»Hör dir seine Version von U 2 s
One
an. Dann weißt du eigentlich alles.
I can’t be holding on to what you got, when all you’ve got is hurt.
Wenn du Bono hörst, dann weißt du: Er hat gerade erst verstanden, worüber er da so verzweifelt singt. Nimmst du die Version mit Mary J. Blidge, dann weißt du: Sie hat keinen Schimmer, worum es geht. Hörst du Johnny, dann weißt du: Er singt das nicht nur so. Er meint das auch. Ich kann nicht weiter an dir festhalten, wenn alles, was du hast, nur noch Schmerz ist. Johnny weiß, worüber er redet. Er hat es erlebt, und ich kaufe ihm das sofort ab.«
»Ich verstehe«, antwortete Marlon, war sich dessen aber nicht ganz sicher. Er hatte eine böse Ahnung.
Roloff schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Kaffee. »Ich habe dir auch immer alles abgekauft, Marlon. Weil du wusstest, worüber du schreibst. Weil du mitten drin warst und es erlebt hast.«
»Wieso sprichst du in der Vergangenheitsform?«
»Weil du jetzt eine Pause brauchst. Dieses Mal bist du zu nah dran. Die Sache macht dich fertig. Fahr weg. Leg dich an den Strand …«
»Ich glaube nicht, was ich da höre.«
»Spann aus, gewinne Abstand.«
»Das meinst du nicht ernst.«
»Doch. Total ernst.«
»Hat …«
»Nein, mein Stellvertreter hat nichts damit zu tun. Keine Bange. Es ist allein meine Entscheidung.«
»Du ziehst mich ab?« Marlon sprang auf. Sein Stuhl knallte an die Heizung hinter ihm. »Mich? Warum?« Das konnte –
durfte –
nicht wahr sein.
Roloff trank in aller Ruhe einen weiteren Schluck Kaffee. »Weil deine Texte scheiße sind. Das ist Volontärslevel und nicht der von dem Marlon Kraft, den ich kenne. Ich weiß nicht, wo du gedanklich bist, aber ich erahne es. Vor allem bist du nicht bei der Sache. Jeder weiß, dass du lange mit Sandra zusammen warst. Jetzt ist sie tot. Das betrifft dich. Ich muss dir nur ins Gesicht sehen und kann dir die schlaflosen Nächte an den Augen abzählen, Marlon. Mach ’ne Pause.«
Da war etwas in Roloffs Blick, das Marlon nicht gefiel. Er kannte diesen Ausdruck. So sah er aus, wenn er wegen einer Gegendarstellung oder einer Verleumdungsklage zu einem kam. Diesen »Es tut mir mehr weh als dir«-Dackelblick hatte er stets aufgesetzt, wenn der frühere Polizeichef Schwartz ihm auf die Pelle gerückt war.
Marlon schluckte, zählte innerlich bis drei und fragte dann: »
Was
ist los?«
»Das habe ich dir gerade gesagt.«
»Ich kaufe es dir aber nicht ab, Johnny Cash.«
Roloff stellte seinen Kaffeepott bedächtig auf den Schreibtisch, linste Marlon an, leckte sich über die Lippen und schob die Hände in die Hosentaschen. »Marcus hat angerufen.«
»Marcus?« Marlon klappte die Kinnlade nach unten, und sein Magen drehte sich um. »Was hat er gewollt?«
»Deinen Terminplan der letzten Tage. Auskünfte darüber, wann du gekommen und wann du gegangen bist. Wie ich sagte: Du bist viel zu nah dran.«
Drecksbulle, Scheißkerl, ich zerreiß dich in der Luft …
»Jetzt, Marlon, wirst du ihn sicher in Stücke reißen wollen. Und genau das kann und werde ich nicht zulassen – dass sich dein Privatkrieg mit dem Job vermischt.«
Marlon biss sich auf die Unterlippe. »Hast du ihm meinen Terminplan gegeben?«
Roloff lächelte mitleidig. »Das glaubst du doch wohl nicht im Ernst.«
Ein Stein fiel von Marlons Brust und ließ ihn wieder zu Atem kommen.
»Ich habe ihm gesagt, er soll dich gefälligst nach Dienstschluss zu Hause anrufen. Wir sind hier immer noch eine Zeitung, und da kann nicht irgendein Polizist daherkommen und meinen, die Redaktion gibt einfach mal inoffiziell Daten weiter. Wenn er aber den offiziellen Weg geht, sind mir die Hände gebunden«, fuhr Roloff fort. »Alles Weitere ist deine
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