Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Privatangelegenheit, Marlon, die mich nicht im Geringsten interessiert. Und eines muss dir klar sein: Ich kann keinen Polizeireporter über etwas schreiben lassen, weswegen er selbst unter Verdacht geraten ist. Die Zeitung muss sauber bleiben. Schlimm genug, dass eine unserer Redakteurinnen ein Mordopfer ist und wir darüber berichten müssen. Wir verstehen uns?«
Marlon fühlte sich, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggezogen. Marcus hatte ganz genau gewusst, was er mit seinem Anruf anrichtet.
Touché, Bulle.
Jetzt war das Tuch endgültig zerschnitten, und Marlon meinte körperlich zu spüren, wie ihm die Story des Jahrhunderts aus den Fingern glitt. Roloff stand auf, nahm seine Kaffeetasse und ging zur Tür. »Ab Montag hast du Urlaub. Ich empfehle dir Costa Calma auf Fuerteventura. Riesige Strände. Und bis dahin: Ball flach halten. Kann ich mich auf dich verlassen?« Roloff legte die Stirn in Kummerfalten und sah den schweigenden Marlon fragend an. »Ich kann auch jeden Abend auf der Druckerpresse hocken und zur Not Tipp-Ex drüber laufen lassen …«
»Nein.« Marlon verschränkte die Arme. »Musst du nicht. Ich bin Profi.«
Und genau deswegen setze ich mich trotzdem in diese Scheiß-
PK
,
fügte er in Gedanken hinzu.
»Das hoffe ich«, sagte Roloff und deutete im Gehen mit dem Zeigefinger auf Marlon. »Das erwarte ich.«
Als die Tür zufiel, schlug Marlon mit der Faust so fest gegen die Wand, dass er im ersten Moment dachte, er hätte sich die Hand gebrochen. Er wollte ihn fertigmachen. Marcus wollte ihn wegputzen. Sein Freund. Schöner Freund, was für ein Arschloch. Der Schmerz zog aus der Hand den Arm hinauf und setzte sich in Marlons Genick fest, wo bereits das dumpfe Wummern wartete. Nein. Natürlich war es nicht wirklich Marcus. Es war der Drache. Der Reaper. Wer auch immer das war.
Er
wollte Marlon fertigmachen.
Er
spielte ein Spiel mit ihm und zog an einer Schlinge, die sich immer fester um Marlons Hals schloss. Was hatte in der Mail gestanden? Er sei noch nicht fertig. Und er solle raten, wer im Mittelpunkt stehe. Marlon natürlich. Darum ging es, ausschließlich darum. Er wollte ihn, und nichts anderes. Und das PS bedeutete nichts anderes, als dass er bereits ein weiteres Opfer in seiner Gewalt hatte. Vermutlich eines, dass Marlon kannte.
Marlon ließ sich in den Stuhl fallen und griff nach einer Zigarette.
Ruhig. Sammle dich. Denk nach. Wer will dich fertigmachen und warum? Wer bringt Frauen aus deinem Umfeld um, damit der Verdacht auf dich fällt? Wer ist die nächste? Und vor allem: Wer ist …
Marlon klemmte sich die Zigarette zwischen die Zähne, klickte den Texteditor vom Desktop und rief den Internetbrowser auf. Als der Cursor im Google-Fenster aufblinkte, tippte er: »Drache.« Zigtausend Einträge. Mythologie. Drachenbau. Drachensage. Nibelungen. Fantasy. Unbrauchbar. Was hatte Engberts über Roths schlimme Kindheit erzählt? Marlon gab »Drache+ China+ Porzellan« ein. Keramik. E-Bay. Kitsch. Nichts. Dann schrieb Marlon »Purpurdrache«. Eine Weile klickte er sich durch die Seiten, fand aber nichts weiter als Fantasy-Rollenspielclubs, und auch »Purpurner Drache« brachte ihn nicht weiter. Marlon zog noch einmal tief an der Zigarette, drückte sie aus und steckte sich die nächste an.
Spanisch. Roth hatte Spanisch geredet und von seinen neuen Freunden gesprochen. Aber was hieß Purpurdrache auf Spanisch? Marlon sog wie ein Ertrinkender an der Marlboro und rauchte sie dabei so heiß, dass seine Lippen brannten. Dann tippte er »purple dragon« in das Suchfenster. Google spie eine Reihe von Einträgen aus. Marlon rollte mit dem Stuhl näher an den Bildschirm heran. Karate-Schulen. Fantasy-Freaks. Ein Tattoo-Shop und etwas über die Möhrensorte namens Purple Dragon. Er scrollte nach unten und klickte auf die nächste Seite. Nichts weiter. Vor allem nichts Spanisches. Eine Reiseagentur für Schwule, spezialisiert auf Vietnam. Erst auf einer der hinteren Seiten erregte ein Eintrag seine Aufmerksamkeit, weil er spanisch klang und so gar nicht zu den anderen passte.
Purpuradragon.com
Marlon klickte auf den Link, der ihn auf die Homepage einer New Yorker Firma führte. In der Mitte war das Logo eines purpurfarbenen Drachen, daneben ein Menü. Auf der Startseite las Marlon lediglich den Hinweis:
»Wir verkaufen weltweit zertifizierte Produkte aus verlässlichen Quellen und sind ständig bemüht, unseren Service zu erweitern. Fordern Sie Informationen an.«
Marlon stutzte.
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