Alfred - König der Angel-Sachsen
es mir bekant worden, wie ein versamletes Heer urtheilt. Ich war vom Byzanzischen Hofe zu den Patzinaken abgeordnet, die an den Wasserfällen des Borysthenes wohnen, und deren Hauptsiz die Setscha heißt. Die Krieger der gesamten Nation wohnen daselbst, ohne einige Weiber zu dulden; und aus dieser Insel thun sie verderbliche Ausfälle in das benachbarte Sarmatien, in das fruchtbare Dacien, und in das reiche Bulgarien. Alle Jahre versamlen sich alle diese Krieger, und wählen ihre Hauptleute, und ihre Richter; ein jeder Bürger ist dem anderen gleich, und die Stimme des unerfahrnen Knaben wird angerechnet, wie die Stimme des Greises, der funfzig Jahre die Kriege seines Volkes geführt, und als Feldherr es zum Siege geleitet hat. Zugleich wird über die Häupter des verflossenen Jahres das Urtheil gefällt. Ich habe beygewohnet, da ein Feldherr, unverhört, und unüberwiesen, wegen einer bloß auf den Argwohn gegründeten Vermuhtung seiner Zuneigung für Byzanz, mishandelt, aller seiner Güter beraubt, und seines Vaterlandes verlustig erkant worden ist. Weder die Ehre, noch das Eigenthum, noch das Leben eines Bürgers hat die geringste Sicherheit bey dieser Staatsverfassung, wo der Willen der Menge das einzige Gesez ist. Nach einigen Jahren traten andere Redner auf, und der Greis wurde in seine vorigen Ehrenstellen wieder eingesezt, er der als ein Verrähter des Volkes die härteste Strafe erlitten hatte. Die Patzinaken sind Scythen und ungelehrt; aber war das Volk zu Rom gerechter gegen den sieghaften Coriolan, gegen seinen Erretter den Camillus, gegen den Tullius Cicero? hat Athen nicht den Aristides verbant, den Phocion hingerichtet, dem Sokrates den Giftbecher zugesprochen, dem ersten Mann, der die Weltweisheit zur Beförderung der Tugend angewandt hatte. Wann Macht in den Händen der Unwissenheit ist, wann die Verfassung des Staates dem Schwalle eines Vorurtheils der Menge keinen Dam entgegengesezt, so wird das Volk selbst zum Tyrann; denn der ist ein Tyrann, der seinen Willen zum Geseze macht.«
»Aber es ist leicht, dem Volke einen wesentlichen Antheil an der Herrschaft zu geben, ohne ihm zu ungerechten Thaten den Zügel zu verhängen. Ihm dem Volke gehört gleichwohl ein Antheil an der Herrschaft. Es macht den grösten Theil der Nation aus, seine Arbeit ernährt den König und die Großen, sein Blut erkauft dem Vaterlande die Sicherheit und den Frieden. Die Glükseligkeit vieler Tausende macht allerdings einen wesentlichen Theil der Glükseligkeit des Staates aus; und diese zu besorgen, kan niemand eifriger, niemand getreuer sich bestreben, als das Volk selbst, das glüklich seyn will. Alzuleicht können die Großen auf den Pöbel mit Verachtung hinunter sehen, alzugeneigt sind sie, die Lasten des Staates auf ihn zu legen, und sich selbst loszusprechen. Alzu oft hat ein Fürst gehoft, durch die Vermehrung seiner Macht glüklicher zu werden, und diese Vermehrung hat er in der Erniedrigung des Volkes gefunden. Seine Begierde zu Triumphen, sein Hang zu Wollüsten, seine mit der Pracht sich nährende Eitelkeit, sezen ihn nur alzu oft in eine Nohtdürftigkeit, woraus er nur durch das Blut, und durch das Darben der Unterthanen, sich zu retten weiß.«
»Doch eh das Volk an der Regierung einen Antheil haben kan, so muß es frey seyn. Das sind die Angelsachsen noch nicht: sie sind Pachter des Adels, der sie wilkührlich aus der Pacht stoßen, und ihnen also die Mittel benehmen kan, von den Früchten der Erde und ihrer Arbeit sich zu nähren. Das Volk muß ein Eigenthum haben, und das Land besizen, welches es bauen sol. So lang es für eines Großen Vortheil arbeiten muß, so lang die Veredlung des Feldes den Grafen größer macht, ohne den Landmann zu bereichern: so lang wird auch der Landmann verdrossen bleiben, die Mängel der Erde zu verbessern, und ihre Fruchtbarkeit durch seine Bemühung zu vermehren; Er wird keine Gräben ziehn, das schädliche Wasser abzuleiten, er wird keine befruchtende Erdarten auf den Aker führen, der nicht der seinige ist, er wird geizig und sparsam der Erde wiedergeben, was er von ihr gezogen hat, er wird sich begnügen, zu geniessen, ohne zu sorgen, ob nach seiner Pacht sein Aker zur Wüste werde. Ein Eigenthümer sorgt für die künftige Fruchtbarkeit der Erde, er wil daß sie seinem Alter den nöhtigen Unterhalt verschaffe, daß sie seine Kinder und seine Enkel nähre; er arbeitet an einer Verbesserung, die seinen eigenen Zustand verbessern sol, mit Eifer und Vergnügen, und wagt
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