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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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nicht ersticken dürfen. Dann müsste sie noch am Leben sein.«
    »Detective?«, sagte Clarissa und trat einen Schritt nach vorn. »Darf ich?«
    Eine Falte furchte August Acrees Stirn, als er sich ihr entgegenstellte.
    »Ihr Name, Ma'am?«
    »Clarissa Dale. Ich glaube, ich kann hier weiterhelfen.«
    »Aha.«
    Man kann auf viele verschiedene Weisen »Aha« sagen, aber wohl kaum weniger ermutigend, als Detective Acree.
    »Soweit ich das beurteilen kann«, sagte sie, »ist Mr. Wax' Tresor von ähnlicher Bauart wie ein Banktresor. Das heißt, es muss auch eine Vorrichtung zum Brandschutz vorhanden sein. Das übliche Sprinklersystem kommt nicht in Frage, schließlich sollen die Bücher nicht nass werden. Da könnte man sie auch gleich verbrennen lassen. Richtig?«
    Die Falte auf Acrees Stirn vertiefte sich.
    »Die meisten Banken«, sagte Clarissa, »setzen zu diesem Zweck Halon ein, ein Gas. Relativ ungefährlich, nicht allzu giftig. Aber wenn man kein öffentlich tätiges Unternehmen ist, kann man auch Kohlendioxid verwenden.«
    »Kohlendioxid.«
    »Keine Sorge, Detective, ich fass nichts an. Ich möchte Sie nur auf die Decke des Tresorraums aufmerksam machen. Nehmen wir mal kurz an, ein Feuer bricht aus. Dann wird von den Düsen an der Decke CO 2 freigesetzt. Es flutet in den Raum und lässt den Sauerstoff nach unten sinken, so dass dem Feuer die Nahrung ausgeht. Wie eine Hand, okay? Die den ganzen Sauerstoff zu Boden drückt.«
    »Wenn also …« Acree machte einen Schritt auf den Tresor zu. »Falls also jemand darin ist, wenn das geschieht …«
    »Bleiben nur wenige Minuten. Und wenn man weiß, wie die
Anlage funktioniert, legt man sich auf den Boden, weil sich dort der ganze Sauerstoff gesammelt hat. Falls noch welcher übrig ist. Als wir Miss Pentzler gefunden haben, lag sie tatsächlich auf dem Boden.« Clarissa ging in die Knie, als wollte sie beten. »Ihr Gesicht war an die Türritze gepresst. Darf ich raten? Sie hat verzweifelt nach Luft geschnappt.«
    Wieder ruckte der Detective an seiner Krawatte.
    »Und wie wurde der Rauchmelder ausgelöst?«
    Die Frage wurde von einem seiner Techniker beantwortet, der aus dem Tresor kam und eine Plastiktüte hochhielt wie eine Kriegstrophäe. Darin befand sich ein durchweichter Zigarettenstummel, knapp drei Zentimeter lang. Viel zu klein, hätte man meinen können, für die große Aufmerksamkeit, die ihm jetzt zuteilwurde.
    »Hat Miss Pentzler geraucht?« fragte Detective Acree.
    »In meinem Beisein jedenfalls nicht«, sagte ich. »Könnte aber trotzdem sein.«
    »Hm, ein Nichtraucher, der mit einer angezündeten Zigarette in einen Tresor geht und sich drinnen einschließt. Also ich weiß nicht, in meiner Welt ist das …« Er pfiff leise.
    »Vielleicht hat die Zigarette jemand anderem gehört«, sagte ich.
    »Und wo ist dieser andere? Wenn die Zigarette noch gebrannt hat, kann dieser andere nicht weit weg gewesen sein. Vergessen wir die Zigarette mal kurz. Wenn Miss Pentzler wusste, in welcher Gefahr sie sich befand, warum hat sie dann keine Hilfe gerufen? Die Hausverwaltung. Oder die Polizei.«
    Mit einigem Bedauern zog ich Lilys BlackBerry aus der Tasche.
    »Wir haben es neben dem Sofa gefunden«, sagte ich in bemüht ruhigem Ton.
    Detective Acree beobachtete, wie das Handy in eine Tüte gesteckt wurde. Dann wandte er seinen Blick wieder dem Tresor zu.
    »Keine Luft«, sagte er wie zu selbst. »Kein Telefon. Niemand da, der ihre Schreie hörte.«
    »Und keine Bücher«, fügte Clarissa hinzu. Acree zog die Augenbrauen hoch. »Wie bitte?«
    »Detective, es liegt mir fern, Lilys Tod zu bagatellisieren, aber
Sie sollten wissen, dass hier ein äußerst schwerer Diebstahl stattgefunden hat. Mr. Wax' Sammlung ist verschwunden.« »Stimmt das?« Acree und Clarissa drehten sich zu mir um, warteten auf meine Bestätigung.
    »Äh, ich fürchte, sie hat recht, Detective. Alonzos Sammlung elisabethanischer Literatur ist weltweit bekannt. Shakespeare-Quartos und Folios. Erstausgaben von Lyrik aus der Tudorzeit. Eine von Königin Elisabeths Bibeln. Es geht um einen Wert von mindestens vier bis fünf Millionen Dollar.«
    »Kann er sie verkauft haben?«, fragte Acree.
    »Vielleicht den einen oder anderen Titel, das ist schon vorgekommen. Aber nicht den gesamten Bestand, das hätte er niemals getan.«
    »Warum nicht?«
    »Die Sammlung war sein Leben.«
    Nur dass Alonzo sich das Leben genommen hatte. Und seine Festplatte gelöscht. Er hatte enorme Sorgfalt und Entschlossenheit an den

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