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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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Büchersammlung gestohlen? Und Lily umgebracht?«
    »Dafür wird er uns alle umbringen, wenn es sein muss.«
    »Aber das ist doch bloß ein Blatt Papier.«
    »Bloß ein …«, stotterte Amory Swale. »Blatt Papier …«
    »Ich meine, welchen Marktwert kann das haben? Die Einzigen auf der Welt, die richtig Geld dafür bezahlen würden – na ja, die sind praktisch alle in diesem Zimmer, oder nicht?«
    »Da hat sie recht«, sagte ich.
    Alonzo warf sich auf die Couch und holte etliche Liter Luft.
    »Bei aller Liebe zu allem, was heilig ist. Es ist nicht die Vorderseite des Dokuments, um die es geht, sondern die Rückseite.«
    »Die …« Clarissa reckte ihren Kopf. »Sie meinen, Ralegh hat ein PS . geschrieben oder so etwas?«
    »Ein Pe … es ? Ja, ganz genau. Alles Liebe … schreib, sobald du kannst … grüß alle von mir . Machen Sie sich nicht lächerlich. Was auf der Rückseite steht, ist kein Postskriptum. Es ist nicht einmal Raleghs Handschrift. Es handelt sich um etwas unendlich viel Wertvolleres.«
    »Und das wäre?«
    »Thomas Harriots Schmierpapier.«
    Auf so eine Mitteilung waren Clarissa und ich vielleicht am allerwenigsten gefasst.
    »Moment mal«, sagte sie. »Sie wollen mir weismachen, Thomas Harriot hat einen Brief von Sir Walter Ralegh für Notizen ver
wendet? Als sei es eine x-beliebige Werbesendung, die er in der Post hatte?«
    »Doch, das leuchtet schon ein«, erwiderte ich. »Papier war damals schwer zu beschaffen. Außerdem war es teuer. Die Elisabethaner haben jedes Schnipselchen, das sie gefunden haben – das konnte die Rückseite einer Handwerkerrechnung sein, das konnten die leeren Seiten in einem Buch sein –, mit Wörtern ausgefüllt.«
    »Aber das ist doch nicht irgendein Papierfetzen«, protestierte Clarissa. »Es ist ein Brief von einem der größten Männer seiner Zeit.«
    »Für Harriot ist Ralegh bloß einer seiner Freunde. Der ihm über die Jahre bestimmt Dutzende Briefe geschickt hat, so dass einer mehr keine große Sache ist. Harriot war ein praktischer Mensch, das dürfen Sie nicht vergessen. Brauchte er Papier, so hat er einfach zum nächstbesten gegriffen.«
    Clarissa öffnete die vor der Brust verschränkten Arme und drückte die Schultern durch.
    »Tja, in dem Falle«, sagte sie, »drehen wir ihn um.«
    Nur dass es niemand tat. Eine ganze Weile nicht. Sogar Alonzo, der schon lange für sich in Anspruch nahm, der Besitzer dieses Blatts Papier zu sein – sogar er blieb stehen und rührte keinen Finger. Es war schließlich mein eigener Drang, der mich dazu brachte, den Brief abermals mit den Fingern zu berühren. Ihn hochzuheben und umzuwenden und wieder zu Boden sinken zu lassen.
    Und dort lag er nun. Und nun ergab nichts daran noch irgendeinen Sinn.
    »Was zum Teufel ist das?«, sagte ich.
    »Man könnte es für ein Rätsel halten«, sagte Amory Swale mit seiner atemlosen Stimme. »Von Meister Harriot der Nachwelt hinterlassen.«
    Sorgfältig darauf bedacht, das Papier nicht zu berühren, beugte sich Clarissa über meinen Arm und zog einen unsichtbaren Kreis um das seltsame Kreuz in der Mitte.
    »Auf die Gefahr hin, dass das dumm klingt oder so, aber das sieht doch aus wie …«
    »Ja?«
    »Na ja, wie eine Piratenkarte. Sie wissen schon: Das Kreuz zeigt, wo der Schatz vergraben ist.«
    »Ziemlich genau so«, sagte Alonzo.
    Ich stand auf, ich rieb mir fest übers Gesicht.
    »Und von was für einem Schatz sprechen wir hier?«, fragte ich.
    Als Alonzo sie aussprach, schien es, als hätte die Antwort die ganze Zeit vor aller Augen sichtbar dagelegen wie der FedEx-Umschlag.
    »Gold«, sagte er. »Ein riesiger Batzen.«

 

    16
    Die nächsten Worte aus Alonzos Mund lauteten:
    »Jemand zum Abendessen aufgelegt?«
    Also verließen wir Amory Swales Bruchbude und zogen hundert Meter weiter landeinwärts zu einer Ladenzeile, die ein Thai-Restaurant und ein Büro des Fraternal Order of Eagles und, ungastlich zwischen beiden eingeklemmt, eine Billardkneipe beherbergte, eine düstere, stickige Lokalität, die uns zu verschlingen schien, kaum dass wir sie betreten hatten. Wir wurden prompt an einen von Bänken umgebenen Tisch geführt, und die nächste Minute war noch nicht verstrichen, da erkundigte sich eine junge Frau mit stolzem, ungezähmtem Haar schon, was wir trinken wollten.
    »Einen Pimm's, bitte«, sagte Alonzo.
    »Mm, ich glaube, das haben wir nicht. Aber wir haben über fünfzig Sorten Bier da. Das große PBR ist gerade im Angebot.«
    Alonzos Kopf sackte nach

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